In der Arbeitsplanung werden derzeit zumeist statische Bedingungen angenommen und vermeintlich optimale Fertigungsabfolgen vor dem Produktionsstart festgelegt. Dynamische Einflüsse während der Fertigung führen zu unsystematischen Umplanungen und einem ineffizienten Planungsergebnis. Im Folgenden wird daher ein Ansatz zur adaptiven Fertigungssteuerung mit Hilfe eines Genetischen Algorithmus präsentiert.
Die Trennung von Arbeitsplanung und Fertigungssteuerung hat sich im Bereich der Einzel- und Kleinserienfertigung im Zuge zunehmender dynamischer Einflüsse und gestiegener Anforderungen an die Flexibilität als zu starr erwiesen [1-3]. Dies ist im Wesentlichen auf folgende Gründe zurückzuführen [2, 4]:
- Vernachlässigung aktueller Zustände (z. B. Maschinenstatus und -auslastung) in der Fertigung und Erzeugung nicht durchführbarer Arbeitspläne
- Eingeschränkter Entscheidungsraum der Fertigungssteuerung auf Grund fehlender Zuweisung alternativer Fertigungsressourcen
- Fehlende multikriterielle Optimierungsfunktionen in der Arbeitsplanung und der Fertigungssteuerung
- Als Folge dieser Trennung kommt es zu verlängerten Durchlaufzeiten, Qualitätsmängeln, Intransparenz und einer geringen Reaktionsfähigkeit beim Auftreten von Störungen und ungeplanten Ereignissen. Am Institut für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen (IFW) wurde daher im DFG-Transferprojekt „Betriebsbegleitende, adaptive Arbeitsplanung und Fertigungssteuerung“ ein KMU-gerechter Ansatz zur adaptiven Fertigungssteuerung entwickelt.

Erzeugung und Bewertung alternativer Arbeitspläne
Zunächst werden die Planungsobjekte des Produktionssystems (z. B. Maschinen oder Handarbeitsplätze) mittels ausgewählter Merkmale (z. B. maximal zulässiger Werkstückdurchmesser, maximal zulässige Werkstücklänge) im Manufacturing Execution System (MES) beschrieben. Dieses wird somit dazu befähigt, bei Vorgabe eines bestimmten Anforderungsprofils für einen Arbeitsgang (z. B. Werkstückdurchmesser und Länge) die dazu passenden Maschinen und Werkzeuge automatisiert vorzuschlagen. Existieren mehrere Optionen für eine Bearbeitung, werden diese im MES als alternative, beziehungsweise nicht-lineare Arbeitspläne abgelegt (Bild 1) [5].
Entscheidend für die Bewertung der alternativen Arbeitspläne ist die Berücksichtigung von Wechselwirkungen zwischen den freigegebenen Aufträgen in der Produktion. So kann eine auftragsbezogen schlechtere Lösung für das gesamte Produktionssystem dennoch optimal sein. Auf Grund des exponentiell steigenden Rechenaufwandes bei zunehmender Produktionssystemgröße und höheren Auslastungsgraden der Fertigung handelt es sich hierbei um ein NP-schweres Optimierungsproblem, für welches sich in der Regel keine exakte Lösung in annehmbarer Zeit finden lässt [6].
Die betriebsbegleitende Auswahl der Arbeitspläne erfolgt daher auf Basis aktueller Betriebsdaten aus dem MES und mit Hilfe eines Genetischen Algorithmus (GA) [5]. Dabei bilden die zuvor ermittelten realisierbaren Arbeitsplankombinationen der freigegebenen Fertigungsaufträge die Individuen einer Generation des GA. Durch Selektion, Kreuzung und Mutation erfolgt über mehrere Generationen hinweg eine Optimierung der jeweils bis dahin besten gefundenen Arbeitsplankombination. Bewertet werden können die einzelnen Arbeitsplankombinationen dabei auf Basis einer multikriteriellen Fitnessfunktion. Diese ermöglicht die Berücksichtigung von Fertigungszeiten und -kosten sowie der Produktionsqualität [5]. Um eine Verschlechterung der Lösung zu vermeiden, wird die beste Arbeitsplankombination einer Generation unverändert in die Nachfolgegeneration übernommen.
Testumgebung zur Potenzialanalyse
Zur Abschätzung der sich aus dem Einsatz des GA ergebenden Einsparpotenziale in der Produktion wird dessen Potenzial an Hand einer exemplarischen Werkstattfertigung untersucht. Diese ist als Simulationsmodell in der Materialflusssimulationssoftware Tecnomatix Plant Simulation umgesetzt. Sie besteht aus drei alternativen Maschinen für die Arbeitsgänge Drehen, Fräsen und Bohren und aus weiteren neun Schleifenmaschinen. Darüber hinaus existiert ein Bearbeitungszentrum, welches Dreh-, Fräs- und Bohroperationen durchführen kann. Die Maschinen unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Bearbeitungsgeschwindigkeit, der erzeugten Bauteilqualität (Ausschussquote) und dem jeweiligen Maschinenstundensatz.
Das Arbeitsprogramm für die Erforschung des Algorithmuspotenzials sieht die zyklische Produktion von 15 unterschiedlichen Aufträgen vor. Die Anzahl der benötigten Arbeitsgänge erstreckt sich dabei von zwei bis vier. Für jeden Auftrag sind neben den verfügbaren Maschinen auch maschinen- und arbeitsgangspezifische Bearbeitungszeiten im Simulationsmodell hinterlegt. Zudem ist jeder Maschine eine individuelle Ausschussrate und ein Maschinenstundensatz zugewiesen. Die Auslastung lässt sich durch die Variation der Konfigurationsparameter gezielt einstellen.
Nutzen von GA zur adaptiven Fertigungssteuerung
In Anlehnung an SIMON und TÖPFER et al. wird der Nutzen des GA mit Hilfe eines mehrstufigen Verfahrens bewertet [7, 8]. Im ersten Schritt wird der zu bewertende Algorithmus bestimmt, in diesem Fall der GA zur adaptiven Fertigungssteuerung. Im zweiten Schritt werden der Zielfunktionswert, anhand dessen die alternativen Arbeitspläne bewertet werden, und die Rechenzeit zur vollständigen Simulation eines Experimentlaufs herangezogen. Um für die letzte Kennzahl eine vergleichbare Datenbasis zu schaffen, wurden alle Simulationen auf einem Rechner mit Intel Core i7-4770 (3,4 GHz) Prozessor und unter Verwendung der Simulationssoftware Technomatix Plant Simulation Version 8.2 durchgeführt. Zusätzlich können bei Bedarf die Produktionskennzahlen Durchsatz, Gesamtdurchlaufzeit (GDLZ), Produktionskosten je Auftrag und die Ausschussquote für weitere Analysen betrachtet werden.

Bild 2: Auswirkung des Steuerungsverfahrens auf Produktionszeit, -kosten sowie den Ausschussanteil.
Im dritten Schritt wird als Referenzalgorithmus für kleinere Probleme (geringe Auslastung oder reduzierte Anzahl Produktionsstufen) die vollständige Enumeration gewählt. Hiermit ist sichergestellt, dass der GA für alle nicht NP-schweren Probleme mit der exakten Lösung verglichen wird. Als Referenzalgorithmus für komplexe Optimierungssituationen dient eine reduzierte Form der vollständigen Enumeration, bei der auftragsspezifisch ungünstige Maschinen von vornherein ausgeschlossen werden. Arbeitspläne, die eine dieser Maschinen enthalten, werden bei der Ermittlung des besten Arbeitsplans nicht berücksichtigt.
Für die ersten drei Produktionsstufen (Drehen, Fräsen und Bohren) wird jeweils die entsprechend der Optimierung ungünstigste Maschine eines Jobs nicht berücksichtigt, im Bereich des Schleifens werden die sieben ungünstigsten Maschinen nicht beachtet. Unterschieden wird dabei zwischen Zeit-, Kosten- und Qualitätsoptimierung. Letztere zielt auf die Verbesserung der Produktionsqualität durch die Wahl ausschussminimaler Arbeitspläne. Zusätzlich wird ein Steuerungsverfahren mit der kürzesten Operationszeit (KOZ) als Zuordnungsregel sowie eine einfachere Reihumsteuerung (abwechselnde Ansteuerung der Stationen einer Fertigungsstufe) im Simulationsmodell hinterlegt. Die Simulation selbst dient wiederum als Bewertungsmethode (Schritt 4).
Die detaillierte Analyse des GA erfolgt im fünften Schritt mittels umfangreicher Simulationsstudien. Der Experimentplan untergliedert sich dazu in die drei Teile Zeit-, Kosten- und Qualitätsoptimierung, die wiederum aus jeweils elf Simulationsstudien bestehen. Für die statistische Absicherung der Ergebnisse wird jeder Simulationslauf fünf Mal wiederholt und die Ergebnisse gemittelt. Um die alleinige Leistung des Steuerungsverfahrens zu ermitteln und andere Einflüsse auf die definierten Kennzahlen zu minimieren, wird die Maschinenverfügbarkeit auf 100 Prozent gesetzt.
Die Ergebnisse der Simulationsläufe in Bild 2 zeigen, dass der GA das Optimum bei einer geringen Fertigungsauslastung gut approximiert. Für die reine Zeitoptimierung beträgt die Abweichung vom Bestwert durchschnittlich lediglich zwei Prozent. Einzig bei der Parameterkonstellation zwei freigegebener Aufträge, Nutzung aller vorhandenen Produktionsstufen (Drehen, Fräsen, Bohren, Schleifen) und einer Qualitätsoptimierung berechnet das Enumerationsverfahren einen deutlich besseren Zielfunktionswert.
Für höhere Auslastungsgrade der Testumgebung kann weder die vollständige noch die reduzierte Enumeration zum Vergleich herangezogen werden, da die Rechenzeiten für beide Verfahren hier bereits um mehr als 500 Prozent über denen des GA liegen. Dies entspricht den Erwartungen, da in der Literatur ein exponentiell wachsender Rechenaufwand bei steigender Problemgröße beschrieben wird. Vergleichbarer sind die Rechenzeiten von GA, KOZ-Regel und Reihumsteuerung. Im oberen Bereich von Bild 3 ist zu erkennen, dass für kleine Parameterwerte unabhängig von der Optimierungsform keine wesentlichen Unterschiede zwischen der Rechenzeit des GA und den einfachen Steuerungsverfahren bestehen.
Ab einer Anzahl von maximal zehn aktiven Aufträgen steigt der Rechenaufwand des GA deutlich an, während der Aufwand für die nichtoptimierenden Verfahren sich nur minimal erhöht. Obwohl der Aufwand für die Berechnung des GA für wachsende Auftragszahlen ansteigt, liegt er mit unter vier Minuten immer noch in einem für den betriebsparallelen Einsatz im Bereich der Werkstattfertigung akzeptablen Zeitbereich.
Zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit des GA werden daher in der Folge die KOZ-Regel und Reihumsteuerung herangezogen. Bei der Zeitoptimierung wird zudem statt des Zielfunktionswertes die mittlere GDLZ aller Aufträge herangezogen, da die Zielfunktion des GA in diesem Fall danach strebt die Restproduktionszeit zu minimieren. Diese hat für die beiden anderen Steuerungsansätze keine Bedeutung, ein Vergleich wäre daher wenig zielführend. Die Ergebnisse im unteren Teil von Bild 3 zeigen, dass die Zeitoptimierung mittels GA in der Lage ist auch übliche zeitbezogene logistische Kennzahlen, wie die GDLZ bei der bestehenden Zielfunktionskonfiguration, zufriedenstellend zu optimieren.
Eine ebenfalls gute Performance zeigt der GA bei Betrachtung der Ausschussquoten im Fall einer Qualitätsoptimierung. In allen betrachteten Szenarien liegt die Ausschussquote bei Einsatz des GA unter der aus dem Einsatz von KOZ-Regel oder Reihumsteuerung resultierenden. Im Mittel über alle Betrachtungsfälle hinweg liegt die Ausschussquote des GA um ca. 54 Prozent unter jener der Reihumsteuerung und ca. 46 Prozent unter jener der KOZ-Regel.
Die Analyse für die Kostenoptimierung ergibt ein anderes Bild. Bei höheren Auslastungsgraden der Fertigung fällt die Leistungsfähigkeit gegenüber der KOZ-Regel deutlich ab. Je nach Auslastung liegen die Produktionskosten je Auftrag bis zu 34,5 Prozent über denen bei Einsatz der KOZ-Regel. Dies lässt sich dadurch begründen, dass die KOZ-Regel für die Kostenoptimierung stets die optimale Lösung wählt, da die kostenoptimale Maschinenauswahl im Testszenario der bearbeitungszeitminimalen entspricht. Die Reihumsteuerung liefert hingegen immer mindestens 21,6 Prozent schlechtere Ergebnisse als der GA.

Bild 3: Auswirkung des Fertigungssteuerungsverfahrens auf die Rechenzeit.
Ausblick
Insgesamt zeigt sich, dass der Einsatz des GA zur optimierten adaptiven Fertigungssteuerung großes Potenzial bietet. Für unterschiedliche Zielfunktionen konnte gezeigt werden, dass stets sehr gute Näherungslösungen gefunden wurden. Lediglich bei optimaler Abstimmung auf das Anwendungsszenario waren einfache und in der Rechenzeit vergleichbare Ansätze zur Fertigungssteuerung in der Lage, bessere Lösungen zu generieren. Eine Adaption an das Anwendungsszenario ist jedoch in der Regel sehr aufwendig und je nach Größe des Produktionssystems nicht trivial.
Die geringe Rechenzeit des GA ermöglicht den betriebsparallelen Einsatz. Für den Transfer in die Praxis wird der Algorithmus derzeit als Plug-In in ein MES intergiert, sodass die Anwendung aus der gewohnten Planungsumgebung heraus möglich wird.
Die Autoren danken der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Förderung des Transferprojektes T09 „Betriebsbegleitende, adaptive Arbeitsplanung und Fertigungssteuerung“ innerhalb des SFB 653.
Schlüsselwörter
Fertigungssteuerung, Genetischer Algorithmus, Machine Learning
Literatur
[1] Lödding, H.: Verfahren der Fertigungssteuerung. Grundlagen, Beschreibung, Konfiguration. Springer Verlag, Berlin, Heidelberg, New York 2005. [2] Phanden, R. K.; Jain, A.; Verma, R.: Integration of process planning and scheduling: a state-of-the-art review. International Journal of Computer Integrated Manufacturing 24:6, S. 517-534, 2011. [3] Schuh, G.; Potente, T.; Hauptvogel, A.: Methodology for the evaluation of forecast reliability of production planning systems. Proceedings of the 47th CIRP Conference on Manufacturing Systems, 28.-30. April, Windsor, S. 469-474, 2014. [4] Kreutzfeldt, J.: Planen mit Bearbeitungsalternativen in der Teilefertigung. Dr.-Ing. Dissertation, Universität Hannover, 1994. [5] Denkena, B.; Wilmsmeier, S.; Stock, W.: Betriebsbegleitende adaptive Arbeitsplanung und Fertigungssteuerung, VDI-Z 159 (10), S. 30 – 32, 2017. [6] Acker, I. J.: Methoden zur mehrstufigen Ablaufplanung in der Halbleiterindustrie, Dissertation, Universität Hohenheim, 2010. [7] Simon, S.: Benchmarking im Werkzeugmaschinenbau – Ein Beitrag zur wettbewerbsübergreifenden Produktentwicklung, Dr.-Ing. Dissertation, Technische Universität Darmstadt, 2006. [8] Töpfer, A.; Mann, A.: Benchmarking – Lernen von den Besten. In: Töpfer, A. (Hrsg.): Benchmarking – Der Weg zu Best Practice, Springer-Verlag, Berlin, 1997.Tags: Adaptive Fertigungssteuerung Künstliche Intelligenz Machine Learning