Logistik

Logistik zum Anfassen

Lesedauer:  6 Minuten

Die steigende Komplexität im Bereich der Logistik und die daraus resultierenden steigenden Anforderungen an die Studierenden verlangen nach neuen Lernmodellen und Konzepten. Dabei sind Lernfabriken ein wesentlicher Fortschritt. Der Lehrstuhl Industrielogistik an der Montanuniversität Leoben geht mit seinem Logistiklabor den Weg von anwendungsorientierter Ausbildung in Zusammenarbeit mit Industriepartnern. Der Beitrag beschäftigt sich mit den Vorteilen einer Lernfabrik für alle Beteiligten.

Didaktische Hintergründe zu Lernfabriken

Lernen, insbesondere berufsbezogenes Lernen ist von neuen Paradigmen geprägt: Selbsttätigkeit, freie Gespräche, praktische Tätigkeiten oder Lernen durch Handeln waren nur einige Aspekte. Diese neue Entwicklung führte mit der Zeit zur modernen Hochschuldidaktik und wurde um die Aspekte des Lernens, Erkenntnisse der Psychologie sowie der Hirnforschung erweitert [1].

Seit damals folgten noch viele weitere Theorien zur Verbesserung der Lehre und des Lernens. Somit versteht man heute unter dem Wort der Didaktik im weitesten Sinne das Organisieren von Lernprozessen um selbstautonomes Lernen zu ermöglichen. Dabei geht es sehr stark um anwendungsorientiertes Lehren und Lernen, wo es neben den Lernzielen und Lehrinhalten auch mittlerweile sehr stark um die Methoden und den Medieneinsatz bei Lehrveranstaltungen und Weiterbildungsmaßnahmen geht. Bild 1 zeigt deutlich den Zusammenhang zwischen der Art der Lerninhaltevermittlung und dem Grad des Verstehens.

Gerade das aktive Tun muss im Vordergrund stehen um wirklich langfristige Erfolge beim Lernen zu erreichen. Lernfabriken, Laborstellungen und dergleichen fördern diese Entwicklung. Es kann des Weiteren gewährleistet werden, dass den Ansprüchen der sich immer stärker verändernden Wirtschaft, Rechnung getragen werden kann.

Altendorfer u. a., Logistik, Bild 1

Bild 1: Zusammenhang zwischen der Art der Lerninhaltevermittlung und dem Grad des Verstehens [5].


Lernen am Modell in der Logistik

In vielen Bereichen der universitären Aus- und Weiterbildung bedient man sich bereits der Erkenntnisse der modernen Didaktik und versucht in Lernfabriken, Übungs- und Forschungslaboren verstärkt anwendungsorientiert zu agieren. Der Bereich der Logistik bietet sich gerade auf Grund seiner komplexen Aufgabenstellungen, die sich aus der „engen und vielschichtigen Verknüpfung zwischen Akteuren und System“ergeben, in idealer Weise an, Labore und Lernfabriken zu etablieren [2].

Diese Zusammenhänge sind darüber hinaus oft nicht transparent, nicht linear in Bezug auf ihre Ursache-Wirkungs-Beziehung, zeitverzögert und schwer reproduzierbar [3]. Gerade durch diese Komplexität müssen Logistiker heute mehr den je flexibel reagieren und gesamtheitlich agieren, um eine entsprechende Problemlösung herbeizuführen.

An diesem Punkt ist es entscheidend mit der Ausbildung anzusetzen, um es den Lernenden zu ermöglichen von reinem deklarativen und prozeduralen Wissen auf die Stufe des konditionalen und Erfindungswissens [4] zu kommen, um den zukünftigen Anforderungen des Marktes und der Wirtschaft gerecht zu werden. Ansätze in diese Richtung sind bereits an Universitäten und Fachhochschulen seit einigen Jahren in unterschiedlicher Weise institutionalisiert.

Logistik-Lernfabrik an der Montanuniversität Leoben

Der Lehrstuhl Industrielogistik setzt ein Logistiklabor im Sinne einer Lernfabrik um. Es soll den Studierenden die Möglichkeit geboten werden, Aufgabenstellungen, die realen Bedingungen entsprechen, direkt zu bearbeiten. Dabei werden Problemstellungen im Labor bearbeitet, wobei es darauf ankommt einzelne Bereiche miteinander zu verbinden und so ein bereichsübergreifendes Denken und Handeln zu ermöglichen.

Die Studierenden haben dabei in dieser Lernfabrik die Möglichkeit technische Systeme, wie beispielsweise RFID-Lösungen, selbst auszutesten und somit auch den theoretischen Input aus Lehrveranstaltungen selbst anzuwenden. Dabei können unterschiedliche Auswirkungen von Lösungen und Technologien im geschützten Rahmen erprobt werden. Durch das eigenständige Anwenden kann bei den Studierenden das Wissen gefestigt und das Verstehen gefördert werden [5].

Bild 2 zeigt eine schematische Darstellung der Einsatzbereiche der Lernfabrik. Die Lernfabrik ist so angelegt, das hier die Schwerpunkte entlang des Materialflusses innerhalb des Labors praktische Anwendung finden, um so eine möglichst umfassende Perspektive auf logistische Systeme und Prozesse zu ermöglichen.

Altendorfer u. a., Logistik, Bild 2
Bild 2: Schematische Darstellung der Einsatzbereiche der Logistik Lernfabrik. [Quelle: Salomon Automation GmbH-SSI Schäfer Group]

Um eine möglichst praxisnahe Ausbildung zu ermöglichen und den Studierenden die Chance zu geben, mehrere Bereiche und Technologien sowie Anbieter von Lösungen kennenzulernen, soll ein weiter Produktmix entstehen. Der Laboraufbau ist dabei modulartig gestaltet, d. h. unterschiedliche Bereiche können gemeinsam oder separat betrachtet werden:

  • Logistische Prozesse können modelliert und am Modell umgesetzt werden.
  • Materialflüsse werden definiert und modelliert.
  • Wareneingangs-/-ausgangskontrollen können durchgeführt werden.
  • Produkte können mittels RFID entlang des Materialflusses verfolgt werden.
  • Simulationssoftware kann getestet werden.
  • Lagersysteme können am Modell erprobt werden.

Der Lehrstuhl setzt in allen Bereichen der Lernfabrik auch sehr stark auf die Beteiligung von Industriepartnern. Hierdurch können zum Einen unterschiedliche System der Industrie getestet und von den Studierenden kennengelernt werden. Zum Anderen kann gemeinsam mit der Industrie an realen Situationen geforscht und aktuelle Fragestellungen beantwortet werden. Salomon Automation GmbH ist dabei der erste Partner, der die Lernfabrik mitentwickelt und nutzen wird. Hier steht u. a. das Thema Materialfluss und Warehouse Management im Vordergrund.

In Zukunft sollen auch technische Aspekte, wie der Einsatz von RFID und Optimierungspotentiale mit Hilfe entsprechender Softwarelösungen erprobt werden. Für die involvierten Industrieunternehmen ergeben sich aus der Kooperation an der Lernfabrik klare Vorteile. Peter Totz von Salomon Automation GmbH stellt die Motivation und den Nutzen für das Unternehmen klar dar: „Für Salomon Automation besteht die Motivation in ein gemeinsames Lernprojekt mit einer Bildungseinrichtung wie dem Lehrstuhl Industrielogistik der Montanuniversität einzutreten darin, dass wir durch den Erfahrungsaustausch über Aufbau und Betrieb des gemeinsamen Labors effizienter zu Ergebnissen kommen, als wenn wir hier alleine vorgehen. Der Betrieb eines Logistiklabors setzt die dauernde Beschäftigung mit der Einrichtung voraus, die durch einen Betreiber allein oft nicht gegeben ist. Besonders in der Lösungsfindung stellt sich heraus, dass der Weg mit einem Partner fruchtbringender ist, als ohne.“

Der Nutzen, für Unternehmen an einer Lernfabrik mitzuwirken, ist sehr vielseitig:

  • Nutzung von Synergien in Entwicklung und Forschung.
  • Langfristige Kooperationen in F&E-Projekten.
  • Ausbildung von Mitarbeitern im Arbeitsumfeld.
  • Frühzeitige Einbindung von Studierenden in Industriekooperationen.
  • Auslagerung von F&E-Aufgaben.

Auch für die Studierenden bieten sich durch die Integration der Industrie Vorteile:

  • Projektarbeiten mit realen Aufgabenstellungen.
  • Kontakte zu Firmen.
  • Kennenlernen von Systemen unterschiedlicher Herstellern.

Des Weiteren soll nicht nur mit Partnern an gemeinsamen Projekten gearbeitet werden. Unternehmen können sich auch direkt mit Fragen und Problemen der Logistik an die Lernfabrik wenden, um ihre Fragen beantwortet zu bekommen. Somit positioniert sich die Lernfabrik auch als wertvoller Partner für Klein- und Mittelständische Unternehmen, die selbst nicht die Möglichkeit oder die Ressourcen haben an aktuellen Fragestellungen zu forschen.

Die Lernfabrik kann auch als Schulungsumgebung für Firmen genutzt werden, um die Mitarbeiter in einzelnen Bereichen zu qualifizieren. Sie hat hierbei den Vorteil, dass in der Schulung der Inhalt gleich praktisch umgesetzt werden kann, was nach den Erkenntnissen der Lernpsychologie das Lernen fördert.
In Zukunft werden Lernfabriken eine immer größere Bedeutung erlangen und der Lehrstuhl Industrielogistik wird hier in den nächsten Jahren weiter einen starken Fokus setzen und auch mit Partnern über geografische Grenzen hinweg, digitale Lernfabriken betreiben.

Schlüsselwörter

Lernfabrik, Lernen am Modell, Logistik-Labor, Wissenstransfer, Industriekooperationen

Literatur

[1] Scheibe, W. u.  a.: Die reformpädagogische Bewegung: Eine einführende Darstellung. Weinheim Basel 2010. [2] Klaus, P.; Krieger, W. u.  a.: Lexikon Logistik. Wiesbaden 2004. [3] Matzler, K. u.  a.: Didaktische Aspekte der Arbeit mit Case Studies. In: Ausbildung in der Logistik. Wiesbaden 2006. [4] Pfäffli, B.: Lehren an Hochschulen. Bern 2005. [5] Schenk, M.; Reggelin, T.: Innovative Lehrmethoden in der universitären und außeruniversitären logistischen Aus- und Weiterbildung. In: Ausbildung in der Logistik, 1. Auflage. Wiesbaden 2006.


Das könnte Sie auch interessieren

Von der Papier- und Verpackungsindustrie lernen

Diese fünf Tipps erleichtern die Einführung eines MES
MES-Lösungen schaffen Transparenz und zeigen, wo sich die Fertigung rechnet und an welchen Stellen nicht. Doch dies lässt sich nicht einfach 1:1 in die Praxis übertragen. Vielmehr gehen viele Unternehmen die MES-Einführung nur halbherzig oder gar nicht an. Im Jahr 2021 befragte We.Conect produktionsnahe Entscheider in Industrieunternehmen (DACH-Raum) zum aktuellen Stand von smarten MES-Lösungen. Das Ergebnis: Nur 37 Prozent der Befragten nutzen standortübergreifend ein MES.

Der digitale Logistik-Zwilling

Best Practices und kritische Erfolgsfaktoren
Durch internes und externes Benchmarking können Unternehmen von Best Practices lernen. Insbesondere Digitalen Logistik Zwillingen kommt dabei ein gewaltiges Potenzial zu, da sie in der Produktionslogistik sowohl die Transparenz als auch die Flexibilität des Logistiksystems steigern können. Die Reduktion von Durchlaufzeiten und die Vermeidung von Engpässen sind nur zwei der zu erwartenden Vorteile.

Ein Blick in die Glaskugel

KI in der Lagerlogistik von morgen
Ob Gesichtsscans, automatisierte Kaufempfehlungen oder von Suchmaschinen kalkulierte, personalisierte Werbeanzeigen – Künstliche Intelligenz (KI) begegnet uns im Alltag häufiger, als wir vermuten. Doch nicht nur für Endverbraucher sind KI-gestützte Bild- und Spracherkennung interessant. Auch in der Logistik 4.0 und Intralogistik verspricht KI verbesserte Prozesse und eine höhere Wettbewerbsfähigkeit.

Der digitale Wertstromzwilling für verbesserte Produktionsprozesse

Die nächste Stufe des Lean Manufacturings
Produktions- und Logistikprozessen mangelt es häufig an Transparenz. Für einen vollständigen Einblick in die realen Prozessabläufe und Materialflüsse setzen viele Unternehmen auf den digitalen Wertstromzwilling. Dank spezialisierter Software kann ein digitales Abbild der Produktionsprozesse automatisiert generiert werden, wodurch sich Durchlaufzeiten, Qualität und Planung deutlich verbessern.

15 Spar-Tipps für den Beschaffungsprozess

Mit den richtigen Strategien gegen steigende Kosten in der Fertigung
Die digitale Beschaffung zentralisiert und automatisiert die Interaktionen zwischen einer Fabrik, ihren Kunden und anderen Akteuren entlang der Lieferkette. Bis zu 86 Milliarden Dollar könnten so allein die 5 000 weltweit größten Unternehmen jährlich einsparen. Wie auch Sie einen effizienteren Beschaffungsprozess einrichten können, zeigt dieser Beitrag in 15 Tipps für die produzierende Industrie.

Schlanke Intralogistik bei ungerichteten Materialflüssen

Der vorliegende Artikel beschreibt, wie die Materialflusssimulation bei der Intralogistikplanung eingesetzt werden kann. Der Fokus liegt dabei auf der Einführung eines schlanken Logistiksystems für Hallenaußenbereiche. Aufgrund hoher Variantenvielfalt und gewachsener Strukturen liegen hier häufig keine wertstromgerechten Werkslayouts vor. Es stellt sich die Frage, ob schlanke Logistiksysteme dennoch sinnvoll einsetzbar sind. Dafür wurde ein Simulationsmodell zur ...