Digitalisierung in der Produktion - Factory Innovation
Digitalisierung, Qualität

Digitalisierung in der Produktion

Manufacturing Execution Systems als Kommunikationsdrehscheibe

Lesedauer: 7 Minuten

22. April 2023 von Ernst Peßl und Bernd Steinbrenner

Digitalisierung in der Produktion
© Adobe Stock/metamorworks

Transparenz in der Produktion ist eine wesentliche Grundlage, wenn nicht sogar der Treiber einer digitalen Fabrik beziehungsweise einer Smart Factory. In einer transparenten Produktionsstätte sind Softwarelösungen wie Enterprise Resource Planning (ERP)-Systeme oder Manufacturing Execution Systems (MES), Sensoren, mobile Endgeräte und Produktionsanlagen miteinander vernetzt und tauschen kontinuierlich Daten aus.

Das Spannungsfeld, Kundenwünsche in den Mittelpunkt des unternehmerischen Handelns zu stellen und dennoch ökonomisch zu bleiben, wird in wirtschaftlich angespannten Zeiten zu einer immer schwierigeren Aufgabe für produzierende Unternehmen. Kleine Losgrößen, hohe Produktvielfalt, kurze Lieferzeiten und hohe Qualitätsanforderungen sind Kennzeichen dafür. Das heißt, die Hauptaufgabe der Produktionsplanung und -steuerung besteht darin, bestmöglich den Material-, Auftrags- und Informationsfluss zu regeln und gegebenenfalls dem veränderten Systemzustand anzupassen. Die aufgezeigten Entwicklungen und Treiber lassen in weiterer Folge eine Smart Factory entstehen, in der beispielsweise intelligente Produkte, Maschinen, Informations- und Kommunikationstechnologie sowie der Mensch vernetzt kooperieren und damit verbundene Potenziale einer effizienten Produktion ausschöpfen.

Automatisierungspyramide im Wandel

Die klassische Automatisierungspyramide besitzt seit vielen Jahren Referenzgültigkeit für den strukturellen Aufbau von Automatisierungs- und IT-Systemen in der industriellen Fertigung. Experten prognostizieren jedoch eine mit der digitalen Transformation einhergehende Aufweichung des Modells hin zu einem hierarchisch flachen Konglomerat aus vernetzten Systemen. Diese Sichtweise ist nicht neu, hat aber im Zusammenhang mit der vierten industriellen Revolution Fahrt aufgenommen. Dadurch wird beispielsweise eine Integration von Cyber-Physischen Systemen (CPS) oder Fremdsystemen via Cloud-Diensten möglich. Darüber hinaus werden die Grenzen zwischen ERP-System und MES sowie dem Shopfloor fließender. Auch außerhalb der Unternehmensgrenzen finden sich Kommunikationsteilnehmer (z. B. Lieferanten, Kunden, Plattformen), die über das Internet angebunden sind. Die allmähliche Auflösung der starren Struktur der Automatisierungspyramide bedeutet aber nicht, dass die Systeme (z. B. ERP, MES) selbst obsolet werden. Insofern werden Manufacturing Execution Systems auch in Zukunft ihre Aufgaben zur Optimierung der Produktion in einer Smart Factory erfüllen.

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Bild 1: Übergang der Automatisierungspyramide zu CPS-Based Automation.

MES – Die Kommunikationsdrehscheibe einer Smart Factory

Im Produktionsumfeld zeigt sich das Streben nach einer schlanken und transparenten Fertigung. So ist es unter anderem für das Personal am Shopfloor interessant, was, von wem, wie, wo und wann zu fertigen ist. Die Produktionsleitung hingegen möchte jederzeit über den Auftragsfortschritt und entsprechende Kennzahlen (z. B. Overall Equipment Effectiveness – OEE) informiert sein, um eine „Datensammelstelle“ zur Steuerung der Produktion zu haben. Im Produktionsalltag ist allerdings festzustellen, dass viele Klein- und Mittelunternehmen ihre Fertigung oftmals noch manuell oder mittels MS Excel planen oder steuern. An dieser Stelle setzen Manufacturing Execution Systems (MES) an, deren Hauptaufgabe die Feinplanung und -steuerung der Produktion ist. Nicht immer ist den Anwendern bewusst, welche Funktionalität von einem MES abgedeckt und welche Aufgaben von „anderen“ IT-Systemen übernommen werden. Vereinfacht gesagt „arbeitet“ ein MES ähnlich wie ein ERP-System, aber mit einem wesentlich kürzeren Zeithorizont und auf der Basis von Echtzeitinformationen.

Smart Factory

In einer Smart Factory können intelligente Produkte, Maschinen, Informations- und Kommunikationstechnologie sowie der Mensch vernetzt kooperieren und damit verbundene Potenziale einer effizienten Produktion ausschöpfen.

Kernaufgaben eines MES

Die Kernaufgabe eines MES ist es, den kapazitätsorientieren Auftragsvorrat aus der Grobplanung des ERP-Systems in eine technologieorientierte Belegung von verfügbaren Ressourcen überzuführen. So lassen sich beispielsweise durch geschickte Reihenfolgenbildung Rüstzeiten stark verringern oder verhindern und somit Engpässe an anderen Stellen ausgleichen. Erwähnenswert ist, größere Abweichungen vom geplanten Auftragsfortschritt müssen Plananpassungen im ERP-System anstoßen und umgekehrt. Das heißt, eine Änderung der Planungsrandbedingungen im ERP-System stößt weiterfolgende MES-Aktivitäten an. MES-Eingangsinformationen bilden zum einen die Ergebnisse der „gröberen“ ERP-Planung mit seinen Stamm- und Bewegungsdaten. Zum anderen sind Rückmeldedaten aus dem Shopfloor zu verarbeiten. Diese umfassen neben rein auftragsbezogenen Informationen typischerweise auch Maschinen-, Qualitäts- und Personaldaten. MES-Ausgangsinformationen sind einerseits differenzierte Vorgaben für die Auftragsbearbeitung im Shopfloor, und andererseits gilt es, in das MES eingegangene Rückmeldedaten wieder für das ERP-System zu aggregieren.

Smart Production LAB

Das Institut Industrial Management der FH -JOANNEUM betreibt am Standort in Kapfenberg mit dem Smart Production Lab eine der größten und modernsten Industrie 4.0-Lehr- und Forschungs-fabriken in Österreich. Aufgrund der unterschiedlichen Anforderungen an die Lehr- und Forschungsfabrik wurde diese auf Basis einer Lab-in-Lab-Struktur konzipiert. Das Smart Production Lab umfasst somit einen öffentlich zugänglichen Maker-Space für Prototypen, Einzelstücke und einfaches Ausprobieren – das sogenannte FabLab –, ein IT Security Lab, das sich der Datensicherheit verschrieben hat, sowie ein SAP NextGen Lab. Die Forschungsaktivitäten beinhalten eine Vielzahl von Use Cases in den Forschungsfeldern Arbeit der Zukunft, Digital Shopfloor, Management & Controlling, Supply Chain Engineering und ERP & MES.

Use Case: MES-Einsatz im Smart Production LAB

Im folgenden Use Case wird ein Produktionsprozess am Beispiel einer diskreten Fertigung dargestellt, der auch in Klein- und Mittelunternehmen umsetzbar ist. 

Der dargestellte Use Case beschreibt den papierlosen Produktionsprozess einer in unterschiedlichen Ausprägungen (Variantenkonfiguration) produzierten Standuhr. Die Ausprägungen definieren sich durch unterschiedliche Farben des Ziffernblattes, verschiedene Arten der Sockelgravur sowie individuellen Beschriftungsmöglichkeiten des Ziffernblattes. Die Fertigung der Standuhr erfolgt mittels zehn Arbeitsvorgängen an unterschiedlichen Maschinenarbeitsplätzen (Bandsäge, Fräs- und Drehmaschine, Sandstrahler, Lasercutter, 3D-Drucker und Roboter) sowie manuellen Montagearbeitsplätzen (Endmontage, Qualitätskontrolle und Verpackung). Im Fokus des Use Cases stehen die involvierten IT-Softwarelösungen (ERP-System und MES), deren Schnittstellen zueinander sowie die Anbindung des Maschinenparks via OPC-UA (Open Platform Communications Unified Architecture). Diese Konstellation ermöglicht einen papierlosen Ablauf des Produktionsprozesses mittels einer durchgängigen, bidirektionalen Datenintegration gemäß der Automatisierungspyramide. Zum Einsatz kommen dabei eine Eigenentwicklung eines Produktkonfigurators auf Basis eines HTML5 User Interfaces zur Individualisierung/Konfiguration der Standuhr. 

Automatisierungspyramide

Die Automatisierungspyramide ist eine hierarchische Struktur, die die verschiedenen Ebenen der Automatisierung in der Industrie darstellt. Die Pyramide besteht aus fünf Ebenen, die jeweils unterschiedliche Funktionen bieten und für die Steuerung von Prozessen auf der darunterliegenden Ebene verantwortlich sind. Die Automatisierungspyramide ermöglicht eine systematische Integration von Automatisierungstechnologien und erleichtert die Kommunikation und den Datenaustausch zwischen den verschiedenen Ebenen. Der Nutzen liegt darin, dass Prozesse optimiert, die Produktivität gesteigert und die Effizienz verbessert werden kann. Die Grenzen liegen in der Komplexität der Integration und der Notwendigkeit, geeignete Schnittstellen und Protokolle zu verwenden, um eine reibungslose Kommunikation zwischen den verschiedenen Ebenen zu gewährleisten.

Mithilfe eines integrierten PHP-Skripts wird ein Datenexport nach SAP S/4HANA gestartet und somit ein Kundenauftrag und in weiterer Folge ein Fertigungsauftrag generiert. Im Fertigungsauftrag wird auf die relevanten Stammdaten wie Arbeitsplan und Stückliste referenziert. Nach Freigabe des Fertigungsauftrages wird dieser über eine von SAP zertifizierte, standardisierte Schnittstelle (cronetwork SAP Connector) von SAP S/4HANA an das MES cronetwork zur Feinplanung übergeben. Nach erfolgter Feinplanung (dabei können unterschiedliche Planungsstrategien, beispielsweise Vorwärts- oder Rückwärtsterminierung, Planung mit kürzesten Durchlauf- oder Rüstzeiten zum Einsatz kommen) der Fertigungsaufträge in einer grafischen Plantafel werden diese an die Meldeterminals an den jeweiligen Arbeitsplätzen zur Bearbeitung freigegeben. 

Das Melden von Rüstvorgängen erfolgt manuell durch den Werker, Produktionsstart und -ende werden durch Maschinensignale, beispielsweise der Spindeldrehzahl definiert. Dies wird mittels OPC UA-Standardschnittstelle zwischen dem MES cronetwork und den jeweiligen Maschinensteuerungen ermöglicht. Die Rückmeldungen von Arbeitsvorgängen (Zeiten, Gutmenge, Ausschussmenge, Maschinenstörungen, Personaldaten etc.) durch die Werker oder durch Maschinensignale gelangen vom MES wieder zurück nach SAP S/4HANA, in dem in einer Auftragsstatusverwaltung die Status des Fertigungsauftrages ersichtlich sind. Daneben werden in SAP S/4HANA eine Reihe von weiteren relevanten Geschäftsprozessen, beispielsweise der Beschaffungsprozess der benötigten zugekauften Komponenten oder der Prozess einer Nachkalkulation der Standuhr unterstützt. 

Der dargestellte Use Case wurde in Zusammenarbeit mit dem MES-Hersteller Industrie Informatik realisiert und umfasst die Implementierung sämtlicher Schnittstellen zur Demonstration einer papierlosen Produktion in einer realen Industrieumgebung.

Ausblick – Entwicklung von Use Cases

Der Anspruch des Instituts Industrial Management ist es, Use Cases zu entwickeln, die unter anderem auch für Klein- und Kleinstunternehmen umsetzbar sind und einen sichtbaren Mehrwert bringen. Unmittelbare Nutzenpotentiale zeigen sich durch die Verwendung von MES-Lösungen in der raschen und effektiven Verplanung von Fertigungsaufträgen, verkürzten Durchlaufzeiten, optimal ausgelasteten Produktionskapazitäten, reduzierten Lagerbeständen, verlässlichen Lieferterminzusagen sowie reduzierten Rüstaufwänden, um nur einige zu nennen. Darüber hinaus bieten MES-Lösungen zukünftig die Chance, als zentrale Informationsdrehscheibe die Basis einer Smart Factory zu schaffen. Auf dieser Basis ist das funktionelle Spektrum bis hin zu KI-basierter Funktionalität, beispielsweise Predictive Maintenance oder auch autonome Steuerung der Produktion vorstellbar. Damit scheint die Vernetzung aller Komponenten einer smarten Factory und der damit sukzessive Übergang der starren Automatisierungspyramide zu einem multidimensionalen Kommunikationsnetzwerk Realität zu werden.

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