Der deutsche Anlagenbau befand sich noch vor Kurzem in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage. Anlagenhersteller mussten schwerwiegende Bestellrückgänge hinnehmen. Die Auswirkungen der Finanzkrise schlugen sich deutlich in der Branche nieder. Das gestaltet sich jedoch schwierig, da die Planungssicherheit für das nächste Jahr fehlt, die Auftragseingänge und somit die Auslastung der Unternehmen unzureichend sind. Es kommt darauf an, Kosten zu sparen, um nicht zuletzt die Wirtschaftlichkeit von Innova- tionen zu steigern, Prozesslaufzeiten zu verkürzen, Ressourcen optimal und damit sparsam einzusetzen und im gleichen Zuge die Qualität durch das Vermeiden von Planungs-, Umsetzungs- sowie Inbetriebnahme- und Bedienfehlern zu sichern. All das gehört zum „Anlagenbau der Zukunft“.
In den komplexen Anlagenplanungsprozessen und auch in den Prozessen des Anlagenbetriebes liegen immense Potenziale zur Erhöhung der Effizienz. Das liegt zum großen Teil in der Natur der Sache. Unterschiedlichste Gewerke und Fachdisziplinen müssen sich kontinuierlich abstimmen. Die fließende Einbindung der zahlreichen Lieferanten in den Prozess der Planung und der Errichtung einer Anlage ist keine triviale Sache. Anlagenänderungen im Lebenszyklus sind keine Seltenheit und nehmen im Schritt der rasanten Technologieentwicklung enorm zu. Neue Strategien und Konzepte für die Steigerung der Effizienz über den gesamten Lebenszyklus von Anlagen sind gefragt.
Für die verfahrenstechnischen Anlagenbauer verschieben sich die Optimierungsziele von bisherigen Zielstellungen, wie „höchstmögliche Verfügbarkeit“, „maximale Automatisierung“, „optimierte Projektsicht“ und „minimierte Investitionskosten“, hin zu einem optimierten Anlagenlebenszyklus mit „marktgerechten Anlagenstrukturen“ [1].
Ein optimierter Anlagenlebenszyklus erfordert folgende Aspekte:
1. Effiziente Anlagenplanung und effizienter Anlagenbau inklusive einer effizienten Einbindung der Lieferanten
2. Effizienter Anlagenbetrieb inklusive eines effizienten Energie- und Ressourceneinsatzes
3. Effiziente Anlagenänderungsprozesse
Die oben genannten Aspekte beeinflussen sich gegenseitig sehr stark. So wird z. B. durch die Simulation des Verhaltens der Anlage in der Planungsphase das Fundament für einen effizienten Energie- und Ressourceneinsatz beim Betrieb der Anlage gelegt. Die Simulation des Verhaltens der zukünftigen Anlage setzt die digitale Abbildung der Anlagen beschreibenden Parameter voraus. Möchte man die Simulationsergebnisse darüber hinaus im Projektteam diskutieren, bietet sich z. B. die visuelle Darstellung der berechneten Medienströmen sowie der führenden Prozessparameter Druck und Temperatur im dreidimensionalen Abbild der Anlage an. Dieses Abbild kann nahtlos für Studien zur Zugänglichkeit und Bedienbarkeit einzelner Apparate oder Armaturen in der Planungsphase genutzt werden. Ist die Zugänglichkeit gewährleistet, kann das dreidimensionale Abbild einer Armatur mit bestimmten Funktionen, beispielsweise für die Instandhaltung, hinterlegt werden. So entsteht Schritt für Schritt das virtuelle Abbild der realen Anlage, sowohl in geometrischer als auch in funktionaler Hinsicht im Computer.
Das Fraunhofer IFF ist davon überzeugt, dass durch die Nutzung virtueller Techniken über alle Phasen im Lebenszyklus einer Anlage die Effizienz in den Prozessen des Anlagenbau und -betriebes sprunghaft auf ein deutlich höheres Niveau gehoben wird.
Dabei definiert das Fraunhofer IFF die „Virtuelle Anlage“ weit über die Digitalisierung aller Informationen und Daten einer Anlage in verschiedenen IT-Werkzeugen hinaus. Die „Virtuelle Anlage“ umfasst die Methodik der Integration und Verzahnung der technischen Funktionen aller innovativen Werkzeuge und Techniken mit dem Ziel, dass die aktuellen Anlagendaten und Informationen an jeder beliebigen Stelle der Prozesse allen Prozessbeteiligten in der benötigten Detaillierung und Verknüpfung abrufbar zur Verfügung stehen. Dies bedeutet, dass neben dem Vorhalten aller Informationen und Daten über den Lebenszyklus einer Anlage vor allem der einfache und schnelle Zugriff auf die aktuellen Anlagendaten durch alle Prozessbeteiligten zu gewährleisten ist. Um die richtigen Entscheidungen treffen zu können, benötigen z. B. die Planungsteams eine Kommunikationsplattform, die alle wichtigen Planungsdaten für alle verständlich auf Knopfdruck bereitstellt. Eine solche Kommunikationsplattform ist die „Virtuelle Anlage“ – das mit allen aktuellen Anlagendaten gespeiste, mit Funktionen und Verhalten der Anlage hinterlegte 3-D-Modell einer Anlage.
Der Erfolg der „Virtuellen Anlage“ ist vor allem davon abhängig, wie es gelingt, die Mitarbeiter in die Konzeptionierung der Umsetzung der Methoden und den Einsatz der Werkzeuge der „Virtuellen Anlage“ von Anfang an einzubeziehen. Nur wenn die Mitarbeiter in der „Virtuellen Anlage“ den Nutzen für ihre tägliche Arbeit sehen, wird diese eine Effizienzsteigerung im Anlagenlebenszyklus garantieren.
Eine weitere Voraussetzung für die Einführung neuer Technologien ist eine Kulturänderung in den Unternehmen. Um Transparenz in den Planungsprozess einzubringen, damit Fehler sofort identifiziert werden können, muss eine offene Atmosphäre im Unternehmen herrschen, die die Mitarbeiter „mitnimmt“. In einer Unternehmenskultur, in der die Mitarbeiter im Team agieren und ein gemeinsames Ziel verfolgen, gelingt es auch, einen Innovationsprozess auf den Weg zu bringen.
Innovieren gelingt nur in einer Arbeitsatmosphäre, die frei von Angst ist und in der die Mitarbeiter engagiert und motiviert sind.
Das Fraunhofer IFF hat eine Vorgehensweise erarbeitet, die der konsequenten Einbeziehung der Prozessbeteiligten bei der Konzeptionierung und der Umsetzung der „Virtuellen Anlage“ im Unternehmen gerecht wird. (Bild 1)

Im Folgenden wird der Effizienz erhöhende Einsatz der „Virtuellen Anlage“ in den Lebenszyklusphasen näher beleuchtet.
Effiziente Anlagenplanung
Die Steigerung der Effizienz im Anlagenlebenszyklus beginnt bei der Planung. Mit neuen Methoden und innovativen Softwaretechnologien können Anlagen heute effizienter und intelligenter geplant werden als früher. Erfolgsfaktor ist die durchgehende Anwendung des Digital Engineerings in der gesamten Prozesskette [2]. Werden virtuelle Anlagenmodelle mit Simulationsdaten gekoppelt, können verfahrenstechnische Prozesse visualisiert werden und das Strömungsverhalten im Apparat oder Behälter analysiert werden. Virtuelle Funktionstests werden in der Planungsphase möglich. Große Anlagenbauer, wie z. B. die BASF SE und Evonik, setzen bei der Planung von Anlagen beim Digital Engineering mehr und mehr virtuelle Techniken ein. Um die Planungsergebnisse im Team von Anlagenplanern, Lieferanten, Arbeitssicherheitsingenieuren, Montageingenieuren u. a. zu diskutieren, werden insbesondere Virtual Reality (VR)-gestützte Designs Reviews durchgeführt.
Offene Fragen zwischen den einzelnen Fachdisziplinen und dem Auftraggeber können live und 1:1 am virtuellen Anlagenmodell erläutert und geklärt werden. Kostenintensiven nachträglichen Änderungen auf der Baustelle wird vorgebeugt.
Effiziente Prozesse im Anlagenbetrieb
Mit der Übergabe der Anlage an den Betreiber ist die Planungs- und Errichtungsphase beendet und die Betreiberphase beginnt. Eine Herausforderung ist, bereits vor der Inbetriebnahme die Betriebsmannschaft bezüglich der neuen Bedienprozeduren und des Betriebsverhaltens der Anlage zu schulen. (Bild 2)
Der Vorteil liegt auf der Hand: Das Bedienpersonal kann sich im Vorfeld mit der Anlage vertraut machen. Eine sichere Bedienung vermindert das Risiko von Fehlbedienungen und vermeidet Unfälle. Gefahrensituationen, z. B. bei Instandhaltungsarbeiten, können virtuell erlebt werden und die Betriebsmannschaft wird bei der täglichen Arbeit hinsichtlich möglicher Gefahren sensibilisiert.

Effiziente Anlagenänderungsprozesse
Im Schritt der weltweiten rasanten Technologieentwicklung und der ständig wechselnden Kundenanforderungen müssen heute Anlagenänderungen unter hohem Zeitdruck erfolgen. Alle relevanten Anlageninformationen über die Betriebsphase aktuell zu halten, ist Voraussetzung für die schnelle Bewerkstelligung von Anlagenänderungen. Eine Herausforderung der Prozessindustrie besteht somit in der Gewährleistung der anlagenweiten Datenaktualität. Dazu gehört nicht zuletzt die Dokumentation aller Erfahrungswerte, die sich während der Betriebsphase der Anlage ergeben haben. Aktuelle Daten und die Erfahrungswerte fließen in die „Virtuelle Anlage“ ein. Bereits im Vorfeld der Anlagenänderung können an der „Virtuellen Anlage“ u. a. die zukünftigen Platzverhältnisse simuliert werden. „Mittelfristig wird jede Anlage zu jedem Zeitpunkt in ihrem aktuellen Bauzustand dargestellt sein, sodass bei Anlagenänderungen oder -erweiterungen sofort mit der Planung begonnen werden kann“ [2, 4].
Fazit
Mit der Einführung innovativer Techniken im Anlagenbau muss im gleichen Zuge die Innovationsfähigkeit bei kleinen und mittleren Unternehmen ausgebaut werden.
Mit der Integration der Lieferanten in die Prozesse des Anlagenlebenszyk-lus sind zwei wesentliche Herausforderungen verbunden:
• Verbesserung des Engineerings und das Beherrschen der Werkzeuge
• Kontinuierliche Qualifizierung im Umgang mit neuen Technologien und Werkzeugen.
Um gerade die kleinen und mittleren Unternehmen zu befähigen, mit den Anforderungen der Kunden Schritt zu halten, startete das Fraunhofer IFF im März 2010 die Initiative „Effizienz im Anlagenlebenszyklus“. Ziel der Initiative ist es, die weltweite Technologieführerschaft des deutschen Anlagenbaus langfristig zu sichern und somit die Innovationsfähigkeit der Branche zu erhalten und auszubauen.
Schlüsselwörter:
Effizienz, Anlagenlebenszyklus, Virtuelle Anlage
Literatur:
[1] CHEMIETECHNIK, 5/ 2010[2] PROCESS, 4/2010
[3] CAV 11/2009 S. 18
[4] Innovative Lösungen für die Instandhaltung von Anlagen, Fraunhofer IFF, 11. IAK, 2009
Branchen: Maschinenbau