Technologien

Nicht nur im Kopf – sondern sichtbar

Lesedauer:  4 Minuten

Sich zu entscheiden, fällt oft schwer – besonders, wenn es tausende von Varianten gibt. Keine Seltenheit in der Fabrik, wenn neue Produkte entwickelt werden. Was da hilft: alle Möglichkeiten sichtbar zu machen. Das kann PAVED, ein Tool zur Visualisierung. Ein Gespräch mit Lena Cibulski vom Fraunhofer IGD in Darmstadt, die PAVED mitentwickelt hat.

Was macht Entscheidungen in der Produktentwicklung so schwierig?

In der Produktentwicklung wie auch in vielen anderen Bereichen der Industrie hat man es oft mit Zielgrößen zu tun, die nicht alle gleichzeitig optimiert werden können. Ein klassisches Beispiel dafür ist der Konflikt von Kosten und Effizienz. Man kann bei einem sehr günstigen Produkt eben keine überdurchschnittliche Effizienz erwarten. Das bedeutet: Es gibt in solchen Fällen keine eindeutige optimale Lösung, sondern viele Lösungen mit unterschiedlichen Konsequenzen. Dann gilt es aus diesen Entscheidungsmöglichkeiten den besten Kompromiss zu finden. Dabei kann es schwierig sein, zwischen den unterschiedlichen Zielen abzuwägen, die oft gegenläufig sind. Schon bei wenigen Zielgrößen kann das ein richtiges Katz-und-Maus-Spiel werden. Eine kleine Verbesserung der einen Zielgröße kann leicht eine Verschlechterung bei mehreren anderen Zielgrößen hervorrufen. Man muss also ständig alle Zielgrößen im Blick behalten.

Hier kommt die Visualisierung ins Spiel.
Warum hilft es, sich Entscheidungsmöglichkeiten anzusehen?

Eine Visualisierung zeigt sehr übersichtlich, welche Entscheidungsoptionen überhaupt zur Verfügung stehen. Dabei hilft sie vor allem die sichtbar zu machen, die nicht immer intuitiv sind.
Das ist deshalb besonders wichtig, weil es neben festen Grenzwerten, die nicht überschritten werden dürfen, bei den meisten Entscheidungen auch einen gewissen Spielraum gibt, den man für Abwägungsprozesse bestmöglich ausnutzen möchte.

Im Alltag geben Post-its oder Whiteboards Orientierung.
Was macht das Visualisierungs-Tool PAVED?

Die Herausforderung ist vor allem die Menge an Varianten und Zielgrößen, mit denen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger im Produktionsalltag konfrontiert sind. Typischerweise werden Simulations- und Optimierungsmethoden eingesetzt, um viele tausend Varianten durchzurechnen. Aber da es diese gegenläufigen Zielgrößen gibt, erreicht man irgendwann den Punkt, an dem man ohne die Eingabe von Präferenzen nicht mehr pauschal sagen kann, die eine Lösung ist besser als die andere. Da bleibt ein immer noch sehr komplexer Lösungsraum. PAVED ist eine Visualisierung, die eine übersichtliche Darstellung aller dieser verbleibenden Lösungen anhand aller zugehörigen Zielgrößen bietet. Die Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger können aber nicht nur die Verteilung der Lösungskandidaten sehen, sondern sie können auch aktiv mit ihnen arbeiten. Also ihre eigenen Erfahrungen und technische Expertise einfließen lassen und Was-wäre-Wenn-Szenarien durchspielen.

Und wann wird das Ergebnis sichtbar? 

Die Visualisierung zeigt den Effekt von Interaktionen in Echtzeit. Indem man zum Beispiel Regler an den Achsen verschiebt, kann man unterschiedliche Rahmenbedingungen ausprobieren und sofort sehen, welche der Lösungskandidaten diese Vorgaben erfüllen. So wird schnell klar, welche Leistung zu welchen Bedingungen möglich ist – und welche nicht. Einzelne Lösungen, die einem während der Suche vielversprechend erscheinen, kann man sich auch als Favoriten zwischenspeichern, um sie am Ende nochmal im Detail miteinander zu vergleichen. Der Vorteil ist, dass durch PAVED diese Abwägungsprozesse, die sonst nur im Kopf des Entscheiders ablaufen, sichtbar werden und auch einfacher zu kommunizieren sind.

Wo kann PAVED eingesetzt werden?

Bei der Entwicklung stand die Optimierung von Elektromotoren im Fokus. Das Tool kann aber auch in anderen Branchen der Industrie als Grundlage für Entscheidungen eingesetzt werden. Sinnvoll ist der Einsatz überall da, wo Entscheider mit sehr vielen Lösungsvarianten und teilweise unvereinbaren Qualitätsmaßen konfrontiert sind.

Was war Ihre Aufgabe in diesem Projekt?

Die Visualisierungsforschung ist sehr anwendungsorientiert und lebt von der Beschäftigung mit den Nutzern und deren realen Problemen und realen Daten. Wir haben PAVED in enger Zusammenarbeit mit Ingenieuren des Linz Center of Mechatronics entwickelt. Hubert Mitterhofer und sein Team waren wertvolle Ansprechpartner und haben uns damit ermöglicht, anwendungsorientiert zu arbeiten und den Nutzer in den Mittelpunkt unserer Arbeit zu rücken. Ein zentraler Teil meiner Rolle als Projektleiterin bestand darin, die Bedürfnisse, Aufgaben und Arbeitsabläufe der Ingenieure zu erfassen und dann wissenschaftlich erprobte Techniken der Visualisierung und Interaktion anzuwenden, um mit PAVEDein Tool zu entwickeln, das die Ingenieure in ihrer täglichen Arbeit unterstützt.

Mehr von Lena Cibulski lesen Sie in der aktuellen Ausgabe von Fabriksoftware 1/2021 im Beitrag Die Alternativen im Blick


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