Der Verband der Maschinenbauer befragt seine Mitglieder alle zwei Jahre zu ihren Erfahrungen mit Produktpiraterie. Steffen Zimmermann leitet das Competence Center Industrial Security beim VDMA und betreut die Studie. Er weiß, was ein Ingenieur fühlt, dessen Idee geklaut wird und warum die Geschädigten oftmals die Füße still halten und sich nicht wehren.
Herr Zimmermann, in Ihrer aktuellen Umfrage geben 74 Prozent der Unternehmen an, 2019 Opfer von Produktpiraterie geworden zu sein. Wie geht es den Unternehmen damit?
Es gibt verschiedene Phasen, die man durchläuft, nachdem man zum ersten Mal die Schocknachricht bekommen hat, dass die eigenen Produkte kopiert werden. Dazu gehören Empörung und Wut. Mittlerweile sind viele Unternehmen in einer Phase der Resignation angekommen – vor allem die kleinen und mittelständischen. Ich hoffe, wir kommen aus dieser Phase durch Innovationen wieder raus.
Das hört sich an wie die Phasen der Trauer, die Menschen nach einem Verlust durchlaufen.
So eine Maschine ist für einen Ingenieur wie sein eigenes Kind. Er hat sie jahrelang entwickelt und freut sich, dass sie zum Leben erweckt und eingesetzt wird. Sie ist sein Baby. Und natürlich ist er total empört, wenn ein anderer sie einfach kopiert. Dann kommt er mit rechtlichen Schritten vielleicht auch nicht weiter oder hat zwar Erfolg vor Gericht, die Kopie wird aber trotzdem noch verkauft. Oft gibt es außerdem nicht nur einen Plagiator, sondern zehn oder zwölf. Dann kommt die Phase, in der man sich fragt: Was soll ich denn überhaupt noch tun?
Irgendetwas müssen Unternehmen doch tun können?
Die Schutzmaßnahmen können die Produktpiraterie nicht stoppen. Wir müssen akzeptieren, dass es Menschen und Unternehmen gibt, deren Ziel es ist, das nachzumachen, was erfolgreich am Markt ist. Wenn Sie in die Werkstatt gehen und sich die Bremsscheiben wechseln lassen, dann sehen Sie das Produkt nicht. Am Ende kommt das Auto mit neuen Bremsscheiben wieder raus. Die werden allerdings oft gefälscht. Die Schaeffler Gruppe verkauft solche Bremsscheiben. Sie hat einen Weg gefunden, darauf zu reagieren. Schaeffler hat ein System entwickelt, bei dem jedes einzelne Bauteil einen eindeutigen Code bekommt. Es gibt dazu eine Datenbank und nun kann man nachfragen, ob dieses Produkt dort zu finden ist. Auch in der Lieferkette müssen die Beteiligten das prüfen. Somit weiß das Unternehmen auch, ob die richtigen Produkte auf dem richtigen Markt gelandet sind und die Logistik-Prozesskette funktioniert.
China kopiert immer noch am meisten, wie die Studie zeigt. Doch immerhin ein Fünftel der Plagiate stammt von deutschen Unternehmen. Wer kopiert hier wen?
Wir haben solche Fälle vor allem in Bereichen, in denen Auftraggeber eine sogenannte „Second Source“ brauchen. Schauen Sie sich den Automotive-Markt an. Hat ein Hersteller nur einen einzigen Zulieferer, sorgt er sich, zu abhängig zu werden. Hier ist es vorgekommen, dass Konstruktionspläne, 3D-Daten angefordert und einem anderen Zulieferer gegeben wurden. Der sollte das dann nachbauen. Den Zulieferer zu belangen war bis letztes Jahr eher schwierig bis unmöglich, wenn keine Schutzrechte wie Patente verletzt wurden.
Was hat sich verändert?
Es gilt seitdem in Deutschland das Geschäftsgeheimnisgesetz. Wenn ein Dritter geschützte Informationen verwendet und weiß oder hätte wissen müssen, dass es sich hierbei um ein Geschäftsgeheimnis handelt, kann man ihn nun dafür belangen.
Wird das ein neuer Hebel, um Produktpiraterie zu erschweren?
Es ist ein wichtiger Schritt. Man muss etwas unternehmen, sonst geht es einfach immer so weiter.
Aus Ihrer Studie geht hervor, dass genau das oft nicht gemacht wird. Knapp die Hälfte der Unternehmen wehrt sich nicht. Warum?
Das ist genau diese Resignation. Ich denke, dass sich viele Unternehmen in einer boomenden Phase auf etwas andere konzentrieren. Und das zweite ist, dass es natürlich jemanden geben muss, dem man habhaft werden kann. Findet ein Unternehmen sein eigenes Produkt auf dem Markt, weiß aber nicht, woher es kommt, ist es schwierig, gegen den Hersteller vorzugehen. Vielleicht noch gegen den Händler – wenn der Hersteller aber in Taiwan, Brasilien oder China sitzt, wird es sehr schwer.
Wenn der Fälscher aber im eigenen Land sitzt, muss es doch möglich sein, etwas zu tun.
Stellen Sie sich vor, Sie beliefern einen großen Automotive-OEM. Als Kunden möchten Sie den nicht verlieren. Wenn ein Unternehmen die Hälfte seines Umsatzes mit nur einem anderen Unternehmen macht, bestehen Abhängigkeiten. Man beißt nicht die Hand, die einen füttert. Das führt dazu, dass ein Unternehmen aus dem Maschinenbau sein Kreuz in unserer Umfrage an dieser Stelle macht und sagt: Wir machen da nichts. Das ist jedes Mal eine Einzelfall-Entscheidung. Und wenn man das Plagiat zu einem Vertriebspartner zurückführen kann, ist das eine Business-Entscheidung.
Sind die denn in der aktuellen Zeit von Corona besonders verwundbar?
Da können wir aktuell nur spekulieren. Vergleichen wir das mal mit der Situation in der Finanzkrise. Damals ging die Produktpiraterie zurück. Ein Grund dafür war, dass es weniger Leute gab, die ein Produkt kauften und daher auch weniger, die eines fälschten. Es war aber auch eine Zeit der Innovationen. Unternehmen sollten jetzt versuchen, sich von den Wettbewerbern abzuheben und dadurch eine Nachfrage zu schaffen. Das ist etwas, dass die Fälscher nicht können. Doch natürlich gibt es weiterhin Produktpiraterie. Der Anteil wird leider stabil bleiben bei vier bis fünf Prozent des Umsatzes der betroffenen Unternehmen. Und Schutzmaßnahmen kosten natürlich auch Geld. Diese Kosten kommen zum Schaden dazu. Es ist keine einfache Zeit gerade.
Das komplette Interview lesen Sie in der aktuellen Ausgabe von Fabriksoftware „Sensorik und IoT“
(Bildquelle: VDMA)
Tags: Plagiate Produktpiraterie