Die systematische Konfiguration der Fertigungssteuerung ist erforderlich, um die logistischen Ziele einer Fertigung zu erreichen. In der Auftragsfertigung sind kurze und stabile Durchlaufzeiten wichtige Ziele. Eine bestandsregelnde Auftragsfreigabe und die Reihenfolgebildung nach Termin unterstützen auch bei hoher Produktvarianz und komplexen Materialflüssen die logistische Zielerreichung. In diesem Anwendungsfall werden die Effekte durch eine vergleichende Messung belegt.
In der kundenauftragsbezogenen Fertigung wird die Produktion von Gütern durch eingehende Kundenaufträge ausgelöst. Der Kunde stellt nicht nur funktionale Anforderungen an die Produkte, sondern in Form von Wunschlieferzeiten und -terminen auch logistische Anforderungen an die Produktionsprozesse. Um die logistischen Ziele zu erfüllen, ist es zum einen notwendig, einen realistischen Produktionsplan zu entwickeln. Zum anderen ist es jedoch unabdingbar, diesen durch eine geeignete Fertigungssteuerung auch umzusetzen. Über die Fertigungssteuerung lassen sich logistische Zielgrößen in der Fertigung gezielt beeinflussen [1]. Eine Konfiguration der Fertigungssteuerung ist daher für viele Unternehmen ein entscheidender Schritt zur logistischen Zielerreichung.

Bild 1: Beispiel für ein Auftragsboard in einer Werkstattfertigung
Viele Fertigungssteuerungsverfahren für produzierende Unternehmen sind auf die Serienproduktion zugeschnitten. Unternehmen mit einer hohen Produktvarianz und komplexen Materialflüssen können diese Steuerungsverfahren in der Regel nicht anwenden [2]. Es stellt sich daher die Frage, wie die Fertigungssteuerung für eine variantenreiche Auftragsfertigung mit komplexen Materialflüssen aussehen kann.
Dieser Beitrag stellt ein Vorgehen in drei Schritten zur Fertigungssteuerungskonfiguration vor, der sich bei einem Auftragsfertiger mit hoher Materialflusskomplexität bewährt hat. Die Verfahrensweise gliedert sich in eine Analyse der Fertigung inkl. einer Prognose für das Durchlaufzeitpotential (Schritt 1), in eine Konfiguration der Fertigungssteuerung (Schritt 2) sowie in eine evaluierende Messung der Durchlaufzeitkenngrößen nach der Konfiguration (Schritt 3).
Schritt 1: Analyse und Potenzialermittlung
Im hier beschriebenen Beispiel liegt eine klassische Werkstattfertigung mit verschiedenen Bereichen vor, die sich nach den Fertigungsverfahren Drehen, Fräsen und Bohren gliedern. Jeder Bereich wird durch einen Bereichsverantwortlichen dezentral gesteuert. Der Materialfluss ist geprägt von wechselnden Routen und Unterbrechungen durch externe Bearbeitungsschritte. Der Bestand in der Fertigung ist insgesamt sehr hoch, wodurch sich lange Warteschlangen an den Arbeitssystemen bilden, die zu hohen Durchlaufzeiten führen. Um die wartenden Aufträge möglichst schnell und effizient abzuarbeiten, gehen die Mitarbeiter dazu über, ihren Bereich eigenständig zu optimieren. So lässt sich beispielsweise durch eine rüstoptimierte Reihenfolgebildung die Ausbringung einzelner Systeme erhöhen, die tatsächlich geplanten Fertigstellungstermine bleiben auf diese Weise jedoch unberücksichtigt. Gerade bei sehr langen Warteschlangen kann diese Form der Reihenfolgebildung zu beträchtlichen Terminabweichungen führen.
Um die logistische Leistungsfähigkeit der Fertigungsbereiche zu ermitteln, hat sich in diesem Fall die engpassorientierte Logistikanalyse angeboten. Diese Methode analysiert und beschreibt Prozesse aus produktionslogistischer Sicht und beruht im Wesentlichen auf Plan- und Rückmeldedaten der Fertigung [3]. In diesem Beispiel wurden die einzelnen Arbeitssysteme aus dem ausgewählten Fertigungsbereich mit Hilfe von Produktionskennlinien untersucht. Dafür werden die Zielgrößen Durchlaufzeit und Leistung über der unabhängigen Einflussgröße Bestand aufgetragen [4]. In diesem Anwendungsfall wurden dadurch einerseits Plan-Durchlaufzeiten für alle Arbeitssysteme bestimmt. Zum anderen konnte auch eine konservative Prognose für die Durchlaufzeitentwicklung nach einer Bestandsreduzierung abgegeben werden. In diesem Fall wurde eine Durchlaufzeitreduzierung um etwa ein Drittel des aktuellen Wertes prognostiziert.
Schritt 2: Konfiguration der Fertigungssteuerung
Die Analyse der Ausgangslage in der Fertigung bildet die Grundlage für die Konfiguration der Fertigungssteuerung. Eine geeignete Konfiguration der Fertigungssteuerung soll die zuvor ermittelten Potentiale heben und somit zur Unterstützung der logistischen Zielerreichung beitragen. Der Fertigungssteuerung sind vier Aufgaben zugeordnet: Auftragsfreigabe, Kapazitätssteuerung, Reihenfolgebildung und Auftragserzeugung [1].
Dieses Industriebeispiel stellt mit der Auftragsfreigabe und der Reihenfolgebildung zwei der vier genannten Aufgaben in den Fokus. Für alle Aufgaben stehen generell verschiedene Verfahren zur Verfügung. Die Auswahl des Verfahrens orientiert sich zum einen an den logistischen Zielgrößen, die unterstützt werden sollen, und zum anderen an den praktischen Anforderungen und Gegebenheiten der untersuchten Fertigung. Die Eignung eines Verfahrens sollte daher in jedem Fall individuell geprüft werden.
Die Auftragsfreigabe regelt den Übergang von Kundenaufträgen aus einem Auftragspool in die Fertigung und hat damit einen direkten Einfluss auf den Bestand und die Durchlaufzeit [5]. Ein sehr effektives und einfaches Verfahren zur Auftragsfreigabe ist das Conwip-Verfahren (Constant Work In Process). Dieses ist, ähnlich zur Kanban-Steuerung, ein kartengestütztes System – jedoch zur Auftragsfreigabe und nicht zur Auftragserzeugung. Grundsätzlich wurde das Verfahren für eine lineare Serienproduktion entwickelt und auch entsprechend ausgelegt [6, 7]. Die Verfahrensregeln machen es jedoch ohne großen Aufwand auch für komplexere Materialflüsse – wie in diesem Falle – leicht anwendbar. Die Regeln selbst sind leicht zu beschreiben: Die Conwip-Steuerung gibt immer dann einen Auftrag frei, wenn die zuvor definierte Bestandsgrenze der Fertigung unterschritten wird [6]. Die Bestandsgrenze wird üblicherweise in eine Mindestanzahl an Aufträgen bzw. Karten überführt. Anhand der Kennlinien lassen sich für alle Arbeitssysteme Plan-Durchlaufzeiten ermitteln. Mit Hilfe von Little´s Law kann die Plan-Durchlaufzeit in Zusammenhang mit der Anzahl der Aufträge bzw. Conwip-Karten gebracht werden [1]:
mit

Bei dieser Umwandlung ist es entscheidend, die Konsistenz zwischen den Plan-Durchlaufzeiten, die idealerweise im ERP-System hinterlegt sind, und der Anzahl der Conwip-Karten zu bewahren. Damit ist die notwendige Abstimmung zwischen der Planungsebene und der Fertigungssteuerung gewährleistet. Für alle Arbeitssysteme wird auf diese Weise ein Plan-Bestand in Anzahl Aufträgen festgelegt. Die Bestände aller Systeme im betrachteten Fertigungsbereich werden anschließend aufsummiert und ganzzahlig gerundet. Im betrachteten Beispiel erfolgte die Umsetzung anhand einer definierten Anzahl physischer Karten, die den Aufträgen zugeordnet werden. Die Begrenzung des Bestandes hat eine verkürzende Wirkung auf die Wartezeiten von Aufträgen und damit auf die gesamte Durchlaufzeit. Weitere Vorteile des Verfahrens sind die aufwandsarme Umsetzung und die gute Anwendbarkeit auch bei komplexen Materialflüssen, wie sie in der Werkstattfertigung vorliegen.
Im nächsten Schritt der Konfiguration gilt es, die Voraussetzungen für möglichst stabile und berechenbare Durchlaufzeiten zu schaffen.
Eine hohe Termintreue in der Fertigung unterstützt dieses Vorhaben. Die Reihenfolgebildung ist eine der Aufgaben der Fertigungssteuerung, die einen unmittelbaren Einfluss auf die Termintreue einer Fertigung haben. Ein sehr beliebtes Verfahren ist das First-In-First-Out-Verfahren (FIFO), da es bspw. durch Regalsysteme unterstützt werden kann. Um eine möglichst hohe Termintreue in der Fertigung zu gewährleisten, sollte die Ist-Reihenfolge mit der Plan-Reihenfolge übereinstimmen. Auf der Arbeitsvorgangsebene bedeutet dies, dass man die Reihenfolgebildung nicht vom Zeitpunkt der Ankunft eines Auftrags am Arbeitssystem abhängig macht (FIFO), sondern vom geplanten Fertigstellungstermin. Die Umsetzung dieser Reihenfolgebildung in dem betrachteten Fertigungsbereich erfolgt mit Hilfe eines zentralen Auftragsboards (Bild 1). Die Auftragssteuerung bestückt dieses einmal pro Planungsperiode mit neuen Auftragskarten und priorisiert diese nach ihren Plan-Endterminen. Anschließend entnehmen die Maschinenbediener den jeweils dringendsten Auftrag und melden diesen nach der Bearbeitung selbstständig zurück. Auf diese Weise lassen sich die Plan-Fertigstellungstermine der Arbeitsvorgänge sehr effektiv in die Fertigung übertragen.
Viele Unternehmen unterschätzen die Bedeutung der Reihenfolgebildung für ihre logistischen Zielgrößen. Eine systematische Reihenfolgebildung hat einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Termintreue innerhalb der Fertigung [8]. Eine gute Visualisierung unterstützt die systematische Reihenfolgebildung, da das Auftragsboard verspätete Aufträge tagesgenau angezeigt und somit die Reihenfolgedisziplin verbessern kann. Andererseits werden entstehende Rückstände frühzeitig aufzeigt, sodass die Verantwortlichen rechtzeitig mit einer Kapazitätsanpassung reagieren können.
Schritt 3: Evaluation und Fazit
Das Unternehmen hat die beschriebene Konfiguration der Fertigungssteuerung umgesetzt. Die Einführung einer bestandsregelnden Auftragsfreigabe und die konsequente Reihenfolgebildung nach dem frühesten Plan-Endtermin haben die mittlere Durchlaufzeit im betrachteten Fertigungsbereich und die Streuung der Durchlaufzeit im betrachteten Fertigungsbereich deutlich reduziert. In diesem Fall fiel die tatsächliche Durchlaufzeitreduzierung im Mittel sogar noch etwas höher aus als die (konservative) Prognose einer Reduzierung von einem Drittel (Bild 2).

Bild 2: Entwicklung der Durchlaufzeitkenngrößen
Diese Ergebnisse zeigen, dass oftmals schon rein organisatorische Veränderungsmaßnahmen ausreichend sind, um erhebliche Durchlaufzeitpotentiale zu erschließen. Die entscheidenden Erfolgsfaktoren hierfür sind: eine passgenaue Auslegung der angewendeten Steuerungsmethoden, eine konsequente Umsetzung der verabredeten Maßnahmen sowie eine durchgehende Einbeziehung der betroffenen Mitarbeiter.
Tags: Auftragsfertigung Bestand Conwip Durchlaufzeit Fertigungssteuerung Reihenfolgebildung variantenreiche Auftragsfertigung
Literatur
Literatur:1. Lödding, H.: Verfahren der Fertigungssteuerung. Springer Verlag, 2. Auflage, Berlin 2008.
2. Thürer, M. et al.: Lean Control for Make-to-Order Companies: Integrating Customer Enquiry Management and Order Release. In: Production and Operations Management 23/3, Production and Operations Management Society, Hoboken NJ 2014.
3. Wiendahl, H.-P.: Fertigungsregelung. Hanser Verlag, 2. Auflage, München 1997.
4. Nyhuis, P.; Wiendahl, H.-P.: Logistische Kennlinien. Springer Verlag, 3. Auflage, Berlin 2012.
5. Hendry, L.C.; Kingsman B.G.; Cheun, P.: The eff ect of workload control (WLC) on performance in make-to-order companies. In: Journal of Operations Management 16, Elsevier, Amsterdam 1998.
6. Hopp W.J.; Spearmann, M.L.: Factory Physics. McGraw-Hill, 3. Auflage, New York 2008.
7. Spearmann, M.L.; Woodruff , D.L.; Hopp W.J.: CONWIP: a pull alternative to Kanban. In: International Journal of Production Research 28/5.
8. Kuyumcu, A: Modellierung der Termintreue in der Fertigung. Dissertation Technische Universität Hamburg-Harburg, Hamburg 2013.