Im folgenden Artikel werden die speziellen Anforderungen an Fertigungsmanagementsysteme in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) mit Kleinserienfertigungen erläutert. Darauf aufbauend wird die Entwicklung eines neuen Systems, das die konkurrierenden Zielvorgaben aus maximaler Kundenindividualität und minimalen Kosten in Anschaffung, Implementierung und Betrieb lösen soll, vorgestellt. Das System soll KMU als Werkzeug dienen, schnellere und sichere Entscheidungen in der Fertigung zu treffen, um die Wirtschaftlichkeit zu steigern.
Produzierende Unternehmen in Deutschland sind gezwungen, eine kontinuierliche Verbesserung ihrer Fertigungsperformance anzustreben, um ihre Wettbewerbsfähigkeit im stark umkämpften Markt zu gewährleisten [1]. Daraus ergibt sich das Ziel kürzere Durchlaufzeiten, eine höhere Produktivität sowie eine effektivere Prozesssteuerung bei gleichzeitig steigender Produktkomplexität und Variantenvielfalt zu erreichen [2]. Eine besondere Herausforderung stellt diese Zielstellung in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) dar. Die in KMU vorhandenen Finanzmittel und Strukturen sind nicht geeignet, kostenintensive und mit hohem Implementierungsaufwand verbundene Fertigungsmanagementsysteme zu realisieren. Insbesondere in kleinen Unternehmen mit weniger als 50 Mitarbeitern, die in Deutschland einen Beschäftigungsanteil von ca. 40% und ein breit gestreutes Anwendungsfeld aufweisen, ist das für Investitionen zur Verfügung stehende Kapital sehr gering [3]. Demnach resultiert für diese Unternehmen der Bedarf nach einem schlanken, günstigen und dennoch leistungsfähigen Fertigungsmanagementsystem, das flexibel an die individuellen Bedürfnisse angepasst werden kann. In der Praxis wird ein solches, in die Fertigung integriertes, System auch als Manufacturing Execution System (MES) bezeichnet.

Bild 1: Werkstattfertigung und Fließfertigung im Vergleich.
Fertigungsmanagementsysteme in kleinen und mittleren Unternehmen
Das Funktionsfeld eines MES kann sämtliche Aufgaben von Datenmanagementfunktionen, wie Datenerfassung und Feinplanung, über Entscheidungsfunktionen, wie Material- und Personalmanagement, bis hin zu Dokumentationsfunktionen, wie Qualitätsmanagement und Leistungsanalysen, umfassen [4]. Die Vorteile, die durch die Einführung eines individuell an die Unternehmensanforderungen angepassten Fertigungsmanagementsystems erreicht werden können, sind in KMU durchaus bekannt. Produktionsprozesse können beschleunigt und die Planungsqualität durch die ganzheitliche, transparente Betrachtung der Fertigungsvorgänge gesteigert werden. Zusätzlich können Maschinenauslastungen durch eine optimierte Steuerung und Überwachung erhöht werden. [5] Problematisch ist, dass die Mehrzahl der am Markt angebotenen Lösungen primär für mittlere bis große Unternehmen mit Fließfertigungen ausgelegt ist. Diese Aussage belegt eine Statistik des Marktspiegels Business Software aus dem Jahr 2010 [6]. Über 80% der dort untersuchten MES weisen als Kundenschwerpunkt Unternehmen mit mindestens 100 Mitarbeitern aus. Zwar bedienen viele dieser Systeme bereits Kunden mit mehr als 50 Mitarbeitern, für kleine Unternehmen oder KMU mit sehr spezifischen Anforderungen sind diese Lösungen jedoch meist ungeeignet [6]. Dies ist unter anderem dadurch begründet, dass in KMU überwiegend Einzel- und Kleinserien gefertigt werden. Daraus resultiert die verstärkte Verbreitung der Werkstattfertigung, welche im Vergleich zu einer Fließfertigung eine wesentlich höhere Anpassungsfähigkeit an Nachfrageverschiebungen und kurzfristigen Auftragsänderungen bietet. Die gewonnene Flexibilität im Bereich der Fertigung geht mit einer sinkenden Prozesstransparenz und steigenden Planungskomplexität einher. Dies ist auf die nun verzweigten und nicht gerichteten Material- und Informationsflüsse zwischen den einzelnen Prozessen zurückzuführen (Bild 1). Die Bewältigung dieser Schwierigkeit muss durch das MES bewerkstelligt werden [6,7].
Neben der funktionalen Bandbreite und der Unternehmensgröße sind wirtschaftliche Aspekte bei der Einführung eines MES entscheidend [8]. Hohe Anschaffungs- und Implementierungskosten erschweren die zügige Amortisation der Anfangsinvestition und stellen für KMU eine nahezu unüberwindbare Barriere dar (Bild 2, Phase 1). Zusätzlich können Unternehmen nach der Anschaffung und Implementierung des MES nicht mit einer unmittelbaren deutlichen Steigerung der Fertigungsperformance rechnen. Vielmehr startet mit dem Beginn der Betriebsphase zunächst ein Lernprozess, der durch Schulungen der Mitarbeiter unterstützt werden muss (Bild 2, Phase 3) [2]. In dieser Phase macht sich das Personal mit dem neuen System vertraut, erlernt sukzessive den vollen Funktionsumfang und parametriert die Fertigungssteuerung optimal. Demzufolge ist der Nutzen des MES in diesem Zeitraum noch vergleichsweise gering und steigt langsam an. Die Lerngeschwindigkeit und damit die Zeitspanne der Lernphase variiert in Abhängigkeit vom Kenntnisstand und Qualifikationsgrad der Mitarbeiter sowie der Komplexität der MES-Bedienung. Aus diesem Grund ist eine einfache intuitive Bedienbarkeit des MES eine wichtige Voraussetzung für möglichst kurze Lernphasen. Dieser Aspekt gewinnt darüber hinaus unter dem Hintergrund des demographischen Wandels, und dem damit verbundenen steigenden Durchschnittsalter in deutschen Unternehmen, zunehmend an Bedeutung. Nach dem erfolgreichen Abschluss der Lernphase kann das MES vom Personal in der Regel zielgerichtet und effizient eingesetzt werden (Bild 2, Phase 4). Dadurch steigt der Nutzen für die Unternehmen stark an und die eigentliche Nutzenphase des Fertigungsmanagementsystems beginnt. Eine Verkürzung der Lernphase führt demnach zu einem früheren Eintritt der Nutzenphase und damit zu einem schnelleren Abruf des vollen Poten-
zials des MES. Die Betriebskosten, wie Lizenzgebühren und Wartungskosten, sind im Verhältnis zu den Anschaffungs- und Implementierungskosten vergleichsweise gering und werden deshalb nicht genauer betrachtet. Dabei stellen die Implementierungskosten in der Regel den größten Kostenfaktor bei der Einführung eines neuen MES dar [9].
Forschungsbedarf
Zusammenfassend lassen sich die wesentlichen Anforderungen an Fertigungsmanagementsysteme für KMU wie folgt beschreiben:
- geringe Anschaffungs- und Implementierungskosten,
- flexible Anpassbarkeit zur Bewältigung der individuellen Prozesskomplexität,
- einfache Visualisierung der wichtigsten Informationen,
- unkomplizierte Bedienbarkeit zur Verkürzung der Lernphase.
Bei der Entwicklung eines Systems, das den obigen Anforderungen entspricht, müssen einige strukturelle Besonderheiten berücksichtigt werden. So liegt die notwendige Datenbasis in KMU häufig nicht in ausreichend strukturierter Form vor. Insbesondere die regelmäßige Bereitstellung und Aktualisierung relevanter Daten muss für ein funktionsfähiges Fertigungsmanagementsystem jedoch sichergestellt sein. Bei einer zusätzlichen Beschaffung und Einführung von kostenintensiven Datenerfassungssystemen, wie beispielsweise Maschinendaten- und Betriebsdatenerfassung (BDE)-Terminals, ist die Einhaltung des zur Verfügung stehenden Budgets häufig nicht möglich. Ein Lösungsansatz für dieses Problem ist die Konzeption eines MES, das sowohl die Hardware zur BDE, wie Terminals und Server, als auch die Software zur kennzahlenbasierten Fertigungssteuerung enthält und kundenindividuell durch modulare Dienstleistungspakete erweiterbar ist. Derzeit wird am Institut für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen (IFW) in Kooperation mit dem Unternehmen MFP Messtechnik und Fertigungstechnologie GmbH (MFP) sowie einem Industriepartner ein MES mit genau diesen Charakteristika entwickelt.

Bild 2: Vier Phasen bei der Einführung eines MES.
Neuartiges modulares Fertigungsmanagement- system
Basierend auf einer begrenzten Anzahl standardisierter Kennzahlen wird im Forschungsprojekt CELERITAS ein softwaregestütztes, dynamisches Fertigungsmanagementsystem entwickelt, das sich von bereits am Markt bestehenden Systemen deutlich unterscheidet. Im Fokus der Entwicklung stehen dabei die besonderen Anforderungen von KMU im Kleinserienbereich. Durch speziell am Institut entwickelte Algorithmen zur Steuerung des MES soll eine Reaktion des Systems auf sich verändernde Produktionssituationen in Echtzeit ermöglicht werden. Diese Algorithmen werden anhand von Simulationen und Analysen von Anwendungsszenarien in KMU erstellt und bilden die Basis des innovativen Systems. Das Unternehmen MFP konzipiert und programmiert in diesem Zusammenhang ein Basismodul, das die wesentlichen Grundfunktionen (Auftragsterminierung, Priorisierung von Aufträgen etc.) eines MES abdeckt und modular nach dem „Baukastenprinzip“ erweiterbar ist. Dieser Aufbau ermöglicht die Bereitstellung einer kostengünstigen Lösung, die durch optionale Zusatzbausteine ein Höchstmaß an Kundenindividualität und Flexibilität bietet (Bild 3). Zusatzbausteine wären beispielsweise optionale Schnittstellen, erweiterte Funktionen des MES, wie Personal- oder Qualitätsmanagement oder zusätzliche Server und Terminals.
Die Folge ist, dass der wirtschaft-liche Betrieb des MES selbst in kleinen Unternehmen gewährleistet werden kann. Aufgrund des modularen Aufbaus resultiert zudem ein geringer Anpassungsaufwand für eine Vielzahl von Anwendungsszenarien, sodass das Fertigungsmanagementsystem nahezu universell als schlanke Lösung eingesetzt werden kann. Dadurch werden der Implementierungsaufwand und die damit verbundenen Kosten deutlich gesenkt. In einem letzten Schritt soll die intuitive, unkomplizierte Bedienbarkeit des MES sichergestellt werden. Daher wird eine sehr übersichtliche Benutzeroberfläche für die fertigungsnahe Anwendung entwickelt. Der Hintergrund ist, dass das zuständige Fertigungspersonal nicht mit unnötigen Informationen belastet werden soll. Dem Werker werden intelligent nur diejenigen Informationen visualisiert, die für seine nächsten Arbeitsschritte von Relevanz sind. Damit soll die in Bild 2 dargestellte Lernphase erheblich verkürzt, mögliche Fehlerquellen vermieden und der Nutzen für das Unternehmen durch eine Beschleunigung der Prozesse deutlich erhöht werden.

Bild 3: Modularer Aufbau des MES.
Zusammenfassung
In KMU mit Kleinserienfertigungen müssen MES mit der hohen Flexibilität der Produktion und der hohen Planungskomplexität umgehen können. Gleichzeitig sollen sie helfen, schnell richtige Entscheidungen bei der Ressourcenbelegung oder dem Fertigungsablauf zu treffen. Dabei dürfen sie in Anschaffung, Implementierung und Betrieb nicht kostenintensiv sein, da das benötigte Kapital in KMU selten vorhanden ist. Aus diesem Grund wird ein modular aufgebautes Fertigungsmanagementsystem entwickelt, das im Spannungsfeld aus Kosten, Leistung und Individualisierung KMU bei Entscheidungen in der Fertigung unterstützt. Durch die simultane Bereitstellung von kombinierbaren Hardware-, Software- und Dienstleistungsmodulen können mit diesem System kundenindividuell die unterschiedlichsten Anforderungen erfüllt werden. Darüber hinaus wird durch eine übersichtliche Benutzeroberfläche die einfache Bedienbarkeit des MES gewährleistet. Dadurch kann eine schnelle und langfristig effektive Nutzung sichergestellt werden. Die Echtzeitfähigkeit des MES wird durch innovative Steuerungsalgorithmen, die in Simulationen und Pilotanwendungen entwickelt und getestet werden, bewerkstelligt. Dadurch wird es zukünftig auch in KMU möglich sein, MES zu realisieren und die damit einher gehenden Vorteile in der Fertigung zu nutzen.
Danksagung
Der vorgestellte Artikel wurde im Rahmen des durch das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM) geförderten Projektes „CELERITAS – System zur Beschleunigung von Fertigungsprozessen im Kleinserienbereich“ in Zusammenarbeit mit dem Unternehmen MFP GmbH erarbeitet.
Schlüsselwörter:
Manufacturing Execution System (MES), Fertigungssteuerung, Fertigungsmanagement
Literatur:
[1] Dombrowski, U.; Crespo, I.; Zahn, T.: Adaptive Configuration of a Lean Production System in Small and Medium-sized Enterprises. In: Production Engineering, Vol. 4, Nr. 4, S. 341-348, Springer, Berlin 2010.[2] Kletti, J.; Schumacher, J.: Die perfekte Produktion. Manufacturing Excellence durch Short Interval Technology (SIT). Springer, Berlin 2011.
[3] Statistisches Bundesamt: Kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Online verfügbar auf http://www.destatis.de, 2011
[4] VDI-Richtlinie 5600 Blatt 1 2007-12: Fertigungsmanagementsysteme. VDI/VDE-Gesellschaft Mess- und Automatisierungstechnik, 2007.
[5] Kletti, J.: Fertiger brauchen MES. In: VDI-Z Integrierte Produktion, , Vol. 153, Nr. 10, S. 3, Springer VDI-Verlag, Berlin 2011
[6] Mussbach-Winter, U.; Wochinger, T.; Kipp, R.: Marktspiegel Business-Software MES – Fertigungssteuerung 2010/2011.Trovarit AG, Aachen 2010.
[7] Jodlbauer, H.: Produktionsoptimierung. Wertschaffende sowie kundenorientierte Planung und Steuerung. Springer, Wien 2008.
[8] Kletti, J.: Konzeption und Einführung von MES-Systemen. Zielorientierte Einführungsstrategie mit Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen, Fallbeispielen und Checklisten. Springer, Berlin 2007.
[9] Huang, G. Q.; Mak, K. L.; Maropoulos, P. G.: Proceedings of the 6th CIRP-sponsored International Conference on Digital Enterprise Technology. Springer, Berlin 2010.
Tags: Fertigungsmanagementsystem