Technologie gegen den Arbeitskräftemangel
Robotik und Wearables erfolgreich einsetzen
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Im Grunde weiß es jeder: Eine Fabrik ohne Menschen – die Dark Factory – kann es auf absehbare Zeit nicht geben. Dennoch nahmen zuletzt die Forderungen nach einer Ausweitung der Robotik wieder zu [1]. Eine weltweit grassierende Kündigungswelle, der allgemeine Fachkräftemangel sowie die Nachwehen der Pandemie befeuern dieses Ansinnen. Und es ist durchaus sinnvoll – nur kommt es auf das richtige Maß an. Vor allem muss es in der Industrie darum gehen, die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine entscheidend zu verbessern.
Es gibt wahrlich genug gute Gründe, die für Robotik, Automatisierung und künstliche Intelligenz sprechen. Maschinen machen deutlich weniger Fehler. Sie sind widerstandsfähiger und belastbarer. Und natürlich benötigen sie keine Pausen. So oder so ähnlich lauten die Argumente der Befürworter.
Allerdings macht schon diese oberflächliche Betrachtung deutlich, wo das Kernproblem dieser Debatte liegt: Man betrachtet dabei Mensch und Maschine als Wettbewerber, wenn nicht gar als Gegner. Das ist ein Kardinalfehler, denn damit positioniert man Roboter und künstliche Intelligenz als Ersatz für – respektive Alternative zur – menschlichen Arbeitskraft. Sie müssten aber eher eine Ergänzung sein. Dieses Dilemma führt dazu, dass zum Beispiel in der EU 72 Prozent der Befragten in einer Umfrage angaben, sie fürchteten, ihren Arbeitsplatz an einen Roboter zu verlieren [2].
Robotik ist kein Kinderspiel
Doch ganz so einfach liegen die Dinge eben nicht. Das gilt insbesondere für den Bereich Lager und Logistik. Eine Analyse von Research and Markets kommt zu dem Schluss, dass sich die Kosten für die Inbetriebnahme von 50 bis 100 Robotern auf eine Summe zwischen zwei und vier Millionen US-Dollar belaufen [3]. Dieses Investitionsvolumen entspricht in den USA etwa dem jährlichen Durchschnittsverdienst von 95 Lagerarbeitern [4]. Eine beträchtliche Investition, die jedem Schnellschuss einen Riegel vorschiebt.
Aber das ist nicht die einzige Hürde. Automatisierung, Robotik und künstliche Intelligenz sind unglaublich komplexe Systeme, die extrem aufwendig sind und lange Projektlaufzeiten erfordern. Oft bedeutet das auch, dass viele Prozesse neu entworfen und aufgesetzt werden müssen. Am Ende geht somit viel an Flexibilität verloren. Denn automatisierte Prozesse müssen immer gleich ablaufen.
Dazu kommt auch, dass sich Automatisierung immer nur auf Teilbereiche ausrollen lässt. Manche Bereiche kann man wegen zu vieler Varianten oder zu kurzer Produktlebenszyklen nicht automatisieren. Schließlich muss man auch betonen, dass jedes technische System eben auch Fehler produzieren kann. Autonome Fahrzeuge erkennen zum Beispiel nicht immer jedes Hindernis oder die Route, auf der sie sich bewegen müssen [5]. Das kann gerade im Lager auch zu schwerwiegenden Unfällen führen. Aber auch andere Fehler können vorkommen. In automatisierten Umgebungen führen derlei Abweichungen jedoch schnell zum Stillstand. Der ist teuer und kann sich schnell zu einer existenziellen Krise auswachsen. All das erklärt, warum es vielfach zur Zurückhaltung bei der Investition in Automatisierungssysteme kommt.
Mensch im Vorteil
Gerade bei der Einführung neuer Systeme zeigt sich zudem das oben bereits angerissene Problem: Viele Mitarbeiter reagieren skeptisch, ziehen nicht mit, boykottieren im schlimmsten Fall sogar das Projekt und bringen es damit zum Scheitern. Der Faktor Angst spielt dabei eine wichtige Rolle. In diesem Zusammenhang bemängelten die Befragten Lagerarbeiter einer aktuellen, internationalen Umfrage zufolge insbesondere fehlende Schulungskapazitäten [6]. Es gilt also, die Werker mitzunehmen. Insbesondere, weil Menschen eine Reihe substanzieller Vorteile mitbringen. Sie lernen deutlich schneller, können spontan auch auf plötzliche Änderungen reagieren und Situationen lösen. Gerade das fällt maßgeblich überall dort ins Gewicht, wo man mit Varianzen, Schwankungen und kurzen Produktlebenszyklen zurechtkommen muss.

Außerdem sind Menschen in vielerlei Hinsicht deutlich zuverlässiger. Zum Beispiel, was das Erkennen von physischen Objekten angeht. Insbesondere dann, wenn die fraglichen Objekte Merkmale aufweisen, die eine eindeutige Identifikation erschweren. Das hat nicht zuletzt die Debatte um Gesichtserkennungssoftware deutlich gezeigt.
Aber auch in Sachen Beweglichkeit und Geschicklichkeit sind Menschen durchaus im Vorteil. Sie können zum Beispiel problemlos ein einzelnes T-Shirt aus einem Stapel nehmen. Roboter scheitern dagegen sehr schnell an solchen Aufgaben und nehmen immer wieder den ganzen Stapel auf. Gleichwohl gilt: Manche Jobs können Maschinen einfach besser als Menschen erledigen, eben weil sie nicht ermüden, in ihren abgesteckten Aufgaben insgesamt präziser arbeiten und auch keine kognitive Voreingenommenheit mitbringen. Die Frage sollte deshalb eben nicht „Entweder Mensch oder Maschine?“ lauten, sondern: „Wie kann man Mensch und Maschine am besten zusammenbringen?“
Nutzen von Cobots im Lager- und Logistikumfeld
Das wird im Umfeld von Lager und Logistik besonders deutlich. Ursprünglich war das Kommissionieren, Ein- und Auslagern eine Aufgabe, die vollständig von Menschen geleistet wurde. Diese Tätigkeiten sind jedoch schwer. Man muss den ganzen Tag Lasten heben, einen Wagen ziehen und vor allen Dingen sehr viel laufen. Die Wegzeit beträgt bei der Kommissionierung zwischen 40 und 60 Prozent der Arbeitszeit [7].
Genau an dieser Stelle können Cobots helfen. In der Branche ist die Idee von Cobots schon lange kein Fremdwort mehr. Diese kollaborativen Roboter sind auf die unmittelbare Zusammenarbeit mit dem Menschen ausgelegt. Sie sollen für Entlastung sorgen, da sie Wegzeiten im Lager einsparen, das Tragen von Lasten übernehmen und beim Ein- und Auslagern helfen. Cobots lassen sich in der Regel sehr schnell implementieren, um insbesondere bei den üblichen Kommissionierungsszenarien wie etwa Single- und Multi-Order-Picking, Batch-Picking, Pick and Pass oder Pick and Pack zu unterstützen. Zudem bleibt das damit verbundene Investitionsvolumen meist bei einem Bruchteil dessen, was man für einen konventionellen Industrieroboter aufwenden muss. Viele Hersteller setzen den Einstiegspreis bei etwa 5 000 Euro an, realistischerweise sollte man aber eher mit etwa 15 000 Euro kalkulieren [8]. Innerhalb weniger Tage lassen sich die oftmals vorkonfigurierten Cobots im Idealfall integrieren. Um keine bösen Überraschungen zu erleben, sollten Anwender jedoch mit einer Implementierungsdauer von etwa drei Monaten rechnen.
Grenzen von Cobots
Allerdings haben auch Cobots ihre Grenzen. Beispielsweise dann, wenn es um Sperrgut und wechselnde Formate geht. Ihr Einsatz ist dennoch sinnvoll, gerade weil sie auf das Zusammenspiel mit dem Menschen ausgerichtet sind. Damit fügen sie sich quasi in ein bestehendes Umfeld ein und erlauben sozusagen einen sanften Übergang, ohne dass es dabei zu Unterbrechungen kommen muss. Zudem entlasten Cobots die Mitarbeiter und erhöhen die Produktivität. Dabei fällt natürlich auch ins Gewicht, dass sie die Abhängigkeit von Saison- und Zeitarbeitskräften spürbar minimieren. Darüber hinaus sorgen sie für ein Plus an Skalierbarkeit. Dennoch bleiben Schnittstellenproblematiken bestehen, da Cobots eben keine vollständig autonomen Systeme sind. Sie sind für die Zusammenarbeit mit Menschen bestimmt. Mit Menschen, die Aktivitäten und Prozessschritte dokumentieren und quittieren müssen. Dazu kommen nahezu vollständig Barcodes und die dazugehörigen Scanner zum Einsatz. Natürlich verbauen die Hersteller von Cobots auch selbst Scanner in ihren Geräten, doch damit schränken sie die Flexibilität und die Bewegungsfreiheit der Mitarbeiter ein.
Wearables ermöglichen reibungsloses Zusammenspiel
Deshalb ergibt es Sinn, eine andere Lösung zu prüfen. Zum Beispiel mit Wearable Barcode Scannern [9]. Sie haben den Vorteil, dass die Hände des Werkers jederzeit frei bleiben und somit je nach Umfeld mehrere Sekunden pro Scan eingespart werden können. Sie sind einfach zu implementieren und können zudem in Bereichen ausgerollt werden, in denen unter Umständen keine Cobots zum Einsatz kommen können – etwa in der Warenannahme, beim Versand oder der Bereitstellung. Vor allem aber adressiert diese Form der Scanner auch die Problematiken rund um wechselnde Formate und Sperrgut, die sich insbesondere im E-Commerce-Umfeld gerade als große Herausforderung erweisen.
Durch den Einsatz von Wearable Barcode Scannern entfallen vor allem die Greifzeiten, also das Aufnehmen und Ablegen eines Barcode Scanners, weil die Mitarbeiter den Scanner immer am Körper mit sich tragen. Sie verlieren ihn nicht und müssen auch nicht danach suchen. Zudem bieten die Geräte eine Worker-Feedback-Option, welche den Mitarbeiter unmittelbar darüber informiert, ob er den richtigen Artikel gescannt hat. Das kann die Anzahl der gängigen Kommissionierungsfehler reduzieren und somit die Qualität des Gesamtprozesses merklich steigern.
Ergänzende Arbeitsanweisungen per integriertem Display
Kommt dabei ein Barcode Scanner mit integriertem Display zum Einsatz, kann man über die Anzeige ergänzende Arbeitsanweisungen ausgeben – etwa den nächsten Einsatzort. Entscheidend ist dabei vor allen Dingen auch, dass das Wearable nicht zur Fessel wird. In der Praxis erweisen sich sogenannte Handschuh- oder Handrückenscanner als besonders vorteilhaft, da sie auf dem Handrücken sitzen und damit eine Fläche der Körpers belegen, die für die meisten Tätigkeiten entbehrlich ist.
Hohe Batterielaufzeit für mehr Flexibilität
Wichtig ist dabei jedoch auch, dass die Scanner mit einer ausreichenden Batterielaufzeit daherkommen. Mindestens eine Schicht sollten sie ohne neues Aufladen schaffen. Das bedeutet etwa 3 000 Scans. Die führenden Geräte schaffen heute jedoch schon drei bis vier Schichten und damit etwa 12 000 Scans pro Batterieladung. Des Weiteren sollten die Scanner leicht in Betrieb zu nehmen sein, am besten ergänzt durch flexible Zugangs- und Konnektivitätsangebote. Gerade diese sind besonders wichtig, um für die erforderliche Flexibilität und zusätzliche Spielräume zu sorgen.
Integrierte Sensorik ermöglicht erweiterte Analysen
Daneben bringen Premium Wearable Barcode Scanner noch einen weiteren wichtigen Vorteil mit, wenn sie mit Sensoren ausgestattet sind, die zusätzliche Meta-Daten auslesen, verarbeiten und verfeinern können. Solche Daten sind etwa der Einsatzort, die Schrittzahl, aber auch die Gesamtzahl der Scans sowie deren Dauer.
Mithilfe geeigneter Analysesoftware kann man so ein Ist-Bild über seinen Shopfloor erhalten, welches das Soll-Bild eines Warehouse Management Systems (WMS) oder ERP-Systems ergänzt. Dies erlaubt es, Hotspots oder Blocker zu erkennen. Darüber hinaus kann man mit sogenannten Time-Motion-Studien valide Aussagen über den Fortgang von Aufträgen erhalten und ist darüber im Bilde, ob man genügend Personal vor Ort an der jeweiligen Station hat. Gerade dieser Aspekt wird für die Unternehmen der Lagerhaltung und der Logistik zu einem entscheidenden Pluspunkt, wenn es darum geht, dem Arbeitskräftemangel wirksam entgegenzutreten.
Menschen entlasten, nicht entlassen
Die Debatte um Automatisierung sollte auf ein vernünftiges Fundament gestellt werden. Technologie ist nicht dazu da, den Menschen zu ersetzen, sondern um ihn zu entlasten. Diese Botschaft gilt es fest in der Industrie zu verankern. Das trifft insbesondere in Anbetracht der gegenwärtigen Herausforderungen wie Arbeitskräftemangel und Unterbrechungen der weltweiten Liefer- und Wertschöpfungsketten zu. Andernfalls werden sich die Marktteilnehmer leicht verzetteln und nur in Sales Pitches investieren, die sie nicht entscheidend voranbringen. Dann werden jedoch alle Vorstöße eher verpuffen, statt die erhoffte Wirkung zu zeigen.
Die Idee, den Werkern mit Wearable Barcode Scannern und Cobots unter die Arme zu greifen, kann durchaus für Effizienzsprünge im hohen zweistelligen Bereich sorgen. Vor allem aber führt sie zu unmittelbaren Ergebnissen und schafft Anreize, die sich gewinnbringend auf die Anwender auswirken – nicht zuletzt bei ihrem Werben um die knapp gewordenen Arbeitskräfte.