Noch viel Überzeugungsarbeit - Factory Innovation
Technologien

Noch viel Überzeugungsarbeit

Lesedauer: 7 Minuten

06. August 2021

Professor Horst Wildemann leitet das Forschungsinstitut für Unternehmensführung, Logistik und Produktion der TU München. In Ausgabe 4/19 von Fabriksoftware schreibt er über die Digitalisierung der Baustellenorganisation.

Herr Wildemann, in vielen deutschen Städten ist Wohnraum knapp und Bauflächen ebenso. Kann die Digitalisierung der Organisation von Baustellen hier helfen?  

Absolut. Das Problem ist, wenn Wohnraum in Städten knapp ist und alles enger zusammenrückt, dann sind auch die Baustellenflächen knapp bemessen. Zudem hat man bei der Nachverdichtung keine Greenfieldbedingungen, es muss viel individuell geplant und natürlich auch gebaut werden. Auch müssen die städtespezifischen baurechtlichen Vorgaben der Bestandsbauten berücksichtigt werden – im Denkmalschutz eine enorme Hürde. Diese Faktoren treiben die Komplexität von Planungs- und Bauvorhaben schnell in die Höhe. Die Baukosten müssen aber sinken, wenn Städteplaner Wohnraum zu guten Preisen anbieten wollen. Das geht nur durch schlanke, schnelle und robuste Planungsprozesse und wenn Individualität nicht zur Kostenfalle wird. All das kann durch die neuen Konzepte erreicht werden. Der digitale Planungsprozess vereinfacht die Koordination der Bauplanung zwischen zahlreichen Beteiligten. Bauherr, Architekt, Statiker, Handwerksbetriebe, die öffentliche Hand und auch Anwohner sind die Schnittstellen im voll digitalisierten End-2-End-Prozess. Zeitpläne und Ressourcen sind transparent, Planungsfehler und drohende Konflikte werden entdeckt, bevor sie den Baufortschritt gefährden. Auch treten deutlich weniger Fehler an Übergabeschnittstellen zwischen verschiedenen Gewerken oder Dienstleistern auf, weil alle in der gleichen standardisierten Datenumgebung arbeiten.

 

Welche digitalen Technologien sind von besonderer Relevanz? 

Wenn wir über die Planung sprechen, stellt die 3D-Modellierung und Virtualisierung der Gebäude eine große Vereinfachung dar. Der digitale Zwilling ist ein Konzept, das in der Automobilindustrie schon länger zu einer Verkürzung der Anlaufkurve führt. Wir wollen das auch in der Bauindustrie etablieren. Bauprozesse, Materialeigenschaften und auch Umwelteinflüsse lassen sich gut simulieren. Dieses digitale Testen erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass im späteren Bauprozess alle Anforderungen erfüllt werden und keine ungeplanten Mängel oder Passfehler auftreten. Nacharbeit wird so drastisch reduziert. Die digitalen Instrumente beschränken sich aber nicht nur auf die Planung. Plattformen bringen Angebot und Nachfrage effizienter zusammen. Dies ist ein entscheidender Vorteil in größeren Ausschreibungsprozessen, wenn bei vielen Gewerke zahlreiche Dienstleister und Sub-Kontraktoren zusammenfinden müssen. Dann sind es natürlich die ganzen technischen Enabler, welche den Menschen im gesamten Prozess begleiten. Das können Drohnen sein, um den Baufortschritt auch aus vielen 100 km zu prüfen oder Tracking- und Lokalisierungs-Lösungen die auf RFID, Bluetooth oder GPS basieren. Auch die beste virtuelle Simulation kann wichtige Kontrollpunkte auf der Baustelle nicht ersetzen. Diese physische Kontrolle – nicht nur des Baufortschritts auch der Lieferkette der Baustoffe – wird dadurch deutlich einfacher.

Wie sieht es mit dem Kollegen Roboter aus? Wird er künftig auf Baustellen zum Einsatz kommen?

Sicher werden wir auf die Erfahrung von Arbeitern und ausgebildeten Experten auf der Baustelle auch in Zukunft nicht verzichten können. Auch würde ich den Begriff Roboter weiter fassen. Als bedeutsam sehe ich alles, was den Menschen bei seiner Aufgabe auf der Baustelle unterstützt. Natürlich sind das die Roboter im klassischen Sinne. Es gibt heute schon Roboter, die Module montieren, die mit Transpondern gekennzeichnet werden. Der Roboter kommuniziert direkt mit dem Bauteil und bezieht Positionsangaben über RFID. Die Pilotprojekte für diesen Ansatz sind sehr vielversprechend. Auch können Verputzarbeiten heute schon teilautomatisiert ablaufen. Wenn Sie so wollen, ist auch der 3D-Druck eine Roboterlösung. Wandmodule oder ganze Grundstrukturen müssen nicht mehr von Hand aufgebaut werden, sondern der Beton kommt im Schichtaufbau aus dem beweglichen Roboterarm und das ohne Qualitätseinbußen. Der 3D Druck beschränkt sich aber nicht nur darauf. Besonders für individuelle Sonderanfertigungen im Bereich der Gebäuderenovierung können einsatzfertige Module kostengünstig vorgedruckt werden. Dabei gilt das gleiche Prinzip wie auch in anderen Branchen – der 3D Druck bietet Individualität ohne Mehrkosten. Neben physischen Robotern sehe ich zudem durch Augmented Reality eine deutliche Erleichterung. Denken Sie nur an Verknüpfung von bereits fertiggestellten Gewerksteilen mit dem, was es noch aufzubauen gilt – und das direkt im direkten Sichtfeld des Arbeiters oder der Bauaufsicht.

 

Sie schreiben in Ihrem Beitrag, dass die digitalen Tools nicht bei allen auf Akzeptanz stoßen, so beispielsweise bei Bauunternehmern. Woran liegt das? 

Digitalisierung bedeutet ja, dass sich die bestehende Art zur Planen verändert. Das heißt ganz konkret, dass sich die Entscheider und Planer in der Baubranche umgewöhnen müssen. Die Baubranche ist da vielleicht in manchen Mustern mehr traditionsbewusst als andere Branchen. Auch hilft es nicht, dass die Digitalisierung stellenweise immer noch als Jobkiller verschrien ist. Diese Reserviertheit spüren Sie ja auch in anderen Branchen. Manche Unternehmen vermuten, dass sie der digitale Prozess um wesentliche Teile ihrer Arbeitsaufgaben bringt. Das Gegenteil ist aber richtig. Es geht nicht darum, den Menschen zu ersetzen, sondern ihm bessere Planungswerkzeuge an die Hand zu geben. Schlankere Prozesse bedeutet nämlich höhere Planungssicherheit, treffsichere Abnahmetermine und weniger Kosten, die durch ungeplante Aufwände entstehen. Die Planung selbst wird weiterhin durch Bauherren erfolgen, nur läuft der Prozess eben effizienter. Das heißt im Extremfall auch, mit bestehenden Kapazitäten lassen sich Projektaktivitäten stärker parallelisieren. Auch herrscht bei Manchem Unsicherheit, ob die neuen Tools die Komplexität eines Bauvorhabens überhaupt abbilden können. Das können sie auch, aber richtig ist auch, dass wir den technologischen Reifegrad weiter erhöhen müssen

 

Und wie können die Zweifler wie Bauunternehmer dafür gewonnen werden?

Auch wenn die bisherigen Forschungsfortschritte sehr gut aufgenommen werden, haben wir trotzdem noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten Dies geht über erfolgreiche Pilotprojekte. Das Gute ist, den Argumenten kann sich dann keiner entziehen. Produktivitätssteigerung durch Digitalisierung bedeutet erstmal Wettbewerbsvorteile durch geringere Kosten. Die Potenziale liegen auf der Hand und diese machen wir auch über Kalkulationen transparent. Die Mehrkosten, die sich durch einen besseren Planungsprozess reduzieren lassen, sind in vielen Fällen ein wichtiges Argument. Gleichzeitig haben digitale Bauunternehmen, natürlich Vorteile bei Ausschreibungsverfahren. Schon allein deswegen, weil sie dem Auftraggeber nach kurzer Zeit fotorealistische Modelle auf den Tisch legen können. Das spornt natürlich an, in den Forschungsvorhaben mitzuwirken. Ein angenehmer Nebeneffekt: Das Baugewerbe hatte schon immer Schwierigkeiten qualifizierte Fachkräfte zu finden. Durch eine Digitalisierungsoffensive wirken die Unternehmen, die sich dafür entscheiden natürlich auch deutlich attraktiver auf Fachkräfte. Diesen Effekt des Employer Brandings haben wir in anderen Projekten außerhalb der Baubranche erforscht und die Ergebnisse sind absolut übertragbar. Sicher gibt es auch ganz banale Hürden, die etwas mit mangelnder Standardisierung zu tun haben. Es gibt eine Vielzahl an digitalen Tools und Lösungen. Die an einem Bauvorhaben Beteiligten, nutzen häufig unterschiedliche Tools für dieselbe Aufgabe. Hier kann es zu Schnittstellenprobleme kommen und Unternehmen tendieren dann dazu, erst einmal abzuwarten. Es gibt zwar Konsolidierungstendenzen, aber noch nicht die eine Lösung oder den einen Anbieter, der sich mit seinem System durchgesetzt hat. Momentan setzen auch viele auf offene Systeme. In der Konsequenz heißt das, wir müssen in der Forschung auch die Standardsetzung berücksichtigen. Damit ist es allerdings nicht getan, die neuen Konzepte müssen auch vermarktet werden. Die Branche der Lösungsanbieter könnte sich auch an der AM-Branche orientieren. Offensives Herantreten durch Direktvertrieb und Kundenbesuche vor Ort mit Applikationsmöglichkeiten in der Tasche und direkte Überzeugung der Bauherren. Ein Mechanismus, den wir von digitalen Unternehmen schon kennen, ist dann der Markteintritt und eine schnelle Durchdringung über günstige Basisanwendungen.

Was hat Sie bei Ihrer Forschung an diesem Thema am meisten überrascht?

Gestaunt habe ich schon, welche Anwendungsfälle bereits in Japan, den USA und auch in anderen Ländern realisiert wurden. Das hat mich an die Just-in-time Zeit vor 30 Jahren erinnert. Überrascht hat mich zu Beginn unserer Forschungen auch, dass in der Baubranche wirklich noch so viel Potenzial in den Prozessen steckt. Seit so vielen Jahren kämpfen wir in der industriellen Massenfertigung in allen Branchen um jede Minute Durchlaufzeit, aber Häuser bauen wir wie seit Jahrzehnten. Wenn man so wie ich das Glück hatte, tiefe Einblicke in die unterschiedlichsten Branchen zu bekommen, dann packt einen der Ehrgeiz, die Erfolge der Produktivitätssteigerungen aus der Industrie auch in der Bauindustrie umzusetzen.

Den Beitrag „Digitale Technologie für die Baustellenorganisation“ können Sie in der aktuellen Ausgabe von Fabriksoftware lesen. Bitte hier entlang.







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