Künstliche Intelligenz in der Fabrikhalle
Zwei Praxisbeispiele zum Nutzen adaptiver und erklärender KI
Lesedauer: 5 Minuten

Charles Darwin hat bereits vor über 100 Jahren in seiner Evolutionstheorie aufgezeigt, dass die anpassungsfähigsten Lebewesen die besten Überlebenschancen haben, ihre Art zu erhalten. Was hat nun ein britischer Naturwissenschaftler aus dem 19. Jahrhundert mit hochmodernen Analysealgorithmen und Industrie 4.0 zu tun? Einiges – denn nachhaltige Qualitätsoptimierung kann in variantenreicher Produktion nur funktionieren, wenn die KI-Algorithmen die Veränderungen erkennen, bewerten und notwendige Änderungen der Algorithmik automatisch ableiten.
Wenn sich Prozesse oder Produkte verändern, muss oftmals die verwendete Software angepasst werden. Auch äußere – vom Unternehmen nicht lenkbare – Einflüsse können einen Änderungsbedarf der Algorithmik bewirken. Selbstlernalgorithmen stellen dieses automatische Anpassen auf Veränderungen sicher, sodass kein Data Scientist – immer wieder – Hand anlegen muss. Dynamisches und adaptives Lernen ist daher ein kritischer Erfolgsfaktor für die langfristige Aussagekraft von KI-Lösungen.
Im Folgenden wird in zwei Fallbeispielen aufgezeigt, wie in komplexen Produktionsprozessen selbstlernende KI-Algorithmen die Qualität sowohl in der stückorientierten Fertigung (Beispiel Automobilzulieferer) als auch in der Prozessindustrie (Beispiel Zementproduktion) deutlich verbessern.

Bild 1: Adaptive, selbstlernende KI-Lösungen ermöglichen den weiten Operativeinsatz in komplexer Produktion
Bild: www.ispredict.com
Fallbeispiel 1: Künstliche Intelligenz deckt komplexe Ursachen für Minderqualität in variantenreichen Produktionsprozessen auf
Trotz aller Zwischenprüfungen fallen funktionale End-of-Line-Prüfungen negativ aus. Selbst ein sehr kleiner Prozentsatz ist bei 11 000 produzierten Produkten/Tag zu viel. Daher deckt selbstlernende Künstliche Intelligenz die komplexen Ursache-Zusammenhänge im variantenreichen Produktionsprozess auf, sodass die Werker die Ursachen für Minderqualität abstellen können. Gerade in einer 24/7-Produktion ist das schnelle Auffinden und Abstellen der Minderqualitäts-Ursachen essentiell.
Projektbeschreibung
Mit diesem Digitalisierungsvorgehen hat der internationale Automobilzulieferer die Intension, den verantwortlichen Entscheidungsträgern schnell Information zu liefern, sodass das Werk optimale Ergebnisse mit qualitativ hochwertigen Produkten erzielen kann.
Lösung
Selbstlernende Künstliche-Intelligenz-Lösungen decken verlässlich und schnell die Ursache-Wirkungs- Zusammenhänge auf.

Bild 2: Vorgehen für KI-Projekte. © www.ispredict.com
Fallbeispiel 2: Vorausschauende Steuerung von Zementmaschinen
In der Prozessindustrie ist die Umstellung von einem (Zwischen-) Produkt auf eine andere Qualität nicht so einfach, da sich im Ofen, im Konverter, im Silo etc. immer noch eine Masse mit einer bestimmten Zusammensetzung befindet. So auch in der Zementindustrie. In der Zementmühle dauert es circa 45 min, bis das eingeführte Material bearbeitet ist und das Endprodukt vorliegt. Bis die neue Qualität erreicht ist, entsteht Ware mit Misch-/Minderqualität. Daher helfen Künstliche-Intelligenz-Algorithmen, die Zementmühle vorausschauend zu steuern, um die neue, gewünschte Qualität schnell zu erreichen.
Ausgangssituation
In einer Zementmühle wird Klinker für unterschiedliche Zementsorten zerkleinert. Es gibt circa 20 Parameter, die in unterschiedlicher Kombination die Qualität beeinflussen. Etwa alle zwei Stunden wird eine Probe gezogen, die vom Labormitarbeiter ausgewertet wird. Abhängig von den Ergebnissen der Qualitätsmessung wird die Zementmühle anders eingestellt. Es hat sich auch gezeigt, dass es von den Erfahrungen des Maschinenführers abhängt, wie schnell die gewünschte Qualität, gerade zum Chargenwechsel, erreicht werden kann.
Projektbeschreibung
Aus der Steuerungseinheit der Zementmühle lagen Betriebsdaten vor wie beispielsweise Drehzahl, Gemenge, Stellungsdrosselklappe, Klinker, Gips, Rezeptur etc. Sogenanntes Rückgut wird recycelt, in dem es dem Mahlprozess zugeführt wird. Dieses Rückgut ist besonders schwierig, da dessen Qualität oft nicht genau bestimmt werden kann.
Lösung
Selbstlernende Künstliche-Intelligenz-Lösungen decken auch in komplexen Prozessen der Prozessindustrie die verwobenen Einflussfaktoren auf. Die Daten werden in real time analysiert und die Steuerungsempfehlungen entweder in einer grafischen Oberfläche für den Maschinenführer dargestellt, oder direkt für die automatische Umsetzung an die Controller Unit der Maschine übergeben. So werden Maschinen (automatisiert) gesteuert, um – beispielsweise nach Chargenwechsel – schnellstmöglich zur gewünschten Qualität zu kommen.
Wie in den oben beschriebenen Fällen ersichtlich, kann die Komplexität in der Produktion sehr hoch sein. Diese Variantenproduktion macht nicht nur dem Werker, sondern auch der KI das Leben schwer.
Eine KI-Lösung, die am Anfang sehr gute Ergebnisse liefert, verliert leider schnell an Aussagekraft, wenn sich die KI-Algorithmik nicht an die veränderten Begebenheiten anpasst. Was nützt der beste Digitale Zwilling, wenn er nur am Anfang seinem Bruder/seiner Schwester gleicht? Für einen lang anhaltenden Mehrwert von KI-Lösungen ist daher die Adaptivität wichtig, also das ständige Anpassen auf neue Umgebungssituationen: Dies ermöglichen Selbstlernalgorithmik und kontinuierliches Lernen. KI-Prototypen, die nur einen sehr begrenzten Umfang haben, also bspw. zehn Roboter, kommen natürlich ohne Selbstlernalgorithmik aus, da ein Data Scientist es hier zeitlich schafft, die Veränderungen in den mathematischen Modellen nachzuziehen. Wenn jedoch Hunderte von Robotern angebunden sind, dann würde man eine Heerschar von Data Scientsts benötigen, die immer wieder der Realität leicht hinterherlaufen. Auch wenn diese Heerschar im finanziellen Rahmen des Werksleiters wäre, so würde er die Stellen nicht besetzen können. Data Science ist eine sehr gefragte Expertise.
Folglich werden sich nur die KI-Lösungen durchsetzen, sowohl wirtschaftlich als auch in der Breite, die sich selbstlernend auf Veränderungen anpassen können.