Heutige Fertigungsleitsysteme beschränken sich meist auf steuernde Funktionen im Kurzfristbereich und bieten selten Möglichkeiten zur längerfristigen Planung und Regelung der Fertigungsabläufe. Das System OOPUS wurde vom Fraunhofer ALB speziell für die mehrstufige Serienfertigung entwickelt und vereint Planungs-, Regelungs- und Steuerungsfunktionen in einem System.
Der Bereich der Produktionsplanung- und steuerung unterliegt einer hohen, sich fortlaufend steigernden Dynamik. Entscheidende Treiber dieser Dynamik sind dabei Nachfrageschwankungen und immer flexiblere Arbeitszeitmodelle, mit denen auf ebendiese Schwankungen reagiert werden soll. Durch diese beiden Effekte ergibt sich ein Planungsumfeld, dass durch geringe Sicherheit bzgl. der Planungsparameter gekennzeichnet ist. Einfache Bereitstellung aktueller Information und schnelle Anpassung der Produktionspläne werden damit zu kritischen Eigenschaften von PPS-Tools. Aus diesem Grund bedarf es hochreagibler Systeme, die sich zusätzlich nahtlos in eine bestehende Systemlandschaft integrieren lassen.
Im folgenden Beitrag wird das am Fraunhofer ALB speziell für die Serienfertigung entwickelte System OOPUS vorgestellt, dass es erlaubt eine Serienfertigung sehr detailliert zu modellieren und zusätzlich Planungs- und Steuerungsfunktionalität in einer Oberfläche vereint.
Modell der Serienfertigung
Für OOPUS wurde eine Modellierungsmethode entwickelt, die den Bedürfnissen der Serienproduktion angepasst ist. Die Modellierungsmethode ist dabei in der Lage, ein dynamisches Mehrprodukt Losgrößen Problem mit parallelen Maschinen und zeitabhängigen Kapazitäten darzustellen [1].
Der verfolgte Grundgedanke des „Modell der Serienfertigung“ (MSFERT) ist die Aufteilung der Fertigung in weitestgehend entkoppelte, separat beplanbare Teilbereiche.
Das Modell der Serienfertigung umfasst fünf Elementtypen, mit deren Hilfe sich unterschiedlichste Fertigungs- und Organisationsstrukturen für die Fertigungsplanung und -steuerung darstellen lassen: Fertigungsstufen, Puffer, Linien, Liniengruppen und Planbereiche. Ein weiteres wesentliches Element der Modellierung sind die Produkte und Zwischenprodukte innerhalb der Fertigung, die als Sachnummern bezeichnet werden.
Die Herstellung oder Fertigung von Serienprodukten lässt sich in der Regel über das gesamte Produktspektrum eines Betriebs in Abschnitte untergliedern. In diesen Abschnitten werden gleichartige Arbeitsschritte aus den Arbeitsplänen des Produktspektrums zusammengefasst (Beispiele hierfür sind z.B. Teilefertigung, Vormontage und Endmontage). Diese Abschnitte der Fertigung werden im Rahmen des Modells als Fertigungsstufen bezeichnet.
Von der jeweiligen Fertigungsstufe hängen in der Regel auch die Anforderungen an den Planungsalgorithmus ab – beispielsweise können je nach Fertigungsstufe Rüstzeiten ein relevanter Faktor sein oder nicht. Daher besteht die Möglichkeit, Fertigungsstufen mit individuellen Planungsalgorithmen auszustatten. Innerhalb der Fertigungsstufe stehen die Linien für konkrete Ressourcen, die zur Verarbeitung der Sachnummern eingesetzt werden können. Dabei wird innerhalb des Modells und der Planung der Fertigungsprozesse eine Fertigungsstufe als einstufig betrachtet. Das bedeutet, eine Linie stellt eine Zusammenstellung von Produktionsressourcen oder Potenzialfaktoren dar. Sachnummern durchlaufen diese Gruppe von Ressourcen und der letzte Verarbeitungsschritt innerhalb dieser Gruppe stellt gleichzeitig den Abschluss der Bearbeitung innerhalb der Fertigungsstufe dar.
Linien, die ähnliche Eigenschaften besitzen und zur Fertigung ähnlicher Produkte oder Produktgruppen eingesetzt werden können, werden zu so genannten Liniengruppen zusammengefasst. Innerhalb der hierarchischen Struktur stehen Liniengruppen zwischen Linien und Fertigungsstufen.
Der Übergang von Produkten und Zwischenprodukten von einer Fertigungsstufe zu einer anderen wird durch so genannte Puffer dargestellt. Dabei kann ein Puffer ein Materiallager mit einer bestimmten Kapazität oder einfach nur den Transport zwischen den Fertigungsstufen darstellen. Über die eben gerade beschriebenen Strukturelemente der Fertigung legen sich die Planungsbereiche. Sie stehen nicht in direktem Zusammenhang zum Ablauf der Fertigung, sondern dienen der Organisation der Planung. Planungsbereiche fassen innerhalb einer Fertigungsstufe und über Fertigungsstufen hinweg mehrere Liniengruppen zusammen. Über die Planungsbereiche wird die Berechtigung der Disponenten, Pläne für bestimmte Linien und Liniengruppen zu erstellen, gesteuert. Bild 1 zeigt ein Beispiel eines Fertigungsmodells, bei dem die Fertigung in die drei Abschnitte Vormontage, Endmontage und Versand aufgeteilt ist. Zusätzlich ist die Zuordnung der Liniengruppen zu drei Planbereichen dargestellt. Es ist zu erkennen, dass die Pufferelemente keinem Planbereich zugeordnet sind. Dies ist im Rahmen des OOPUS-Planungskonzepts nicht notwendig, da für Puffer keine Planungsaktivitäten vorgesehen sind.
Die zeitliche Komponente wird durch ein generisches Schichtmodell gebildet, das es ermöglicht auf Linienebene Betriebskalender und Schichtpläne festzulegen [2]. Ergänzt wird dieses Schichtmodell durch einen Kalender, der angibt ob an einem Tag gearbeitet wird. Mit diesen Funktionen ist minutengenau modellierbar, ob in einem bestimmten Zeitabschnitt auf einer Linie gearbeitet wird. Zusätzlich können Kapazitätsabweichungen angegeben werden, indem durch einen Leistungsgrad bestimmt wird, wie viel Prozent eines Standardleistungsgrads innerhalb einer konkreten Schicht erreicht wird. Eine ausführlichere Darstellung des Zeitmodells befindet sich in [3].
Zusammenfassend lassen sich durch das Zeitmodell u.a. folgende Aspekte modellieren:
· Betriebskalender und Schichtpläne auf Linienebene
· Temporäre Kapazitätsabweichungen auf Sachnummern- und Linienebene
· Ausnahmeereignisse wie Betriebsfeiern
Entkopplung von Planung und Leitstand
Um sowohl Leitstands- als auch Planungsfunktionen in OOPUS zu vereinen, wurden die in Bild 2 dargestellten Planungshorizonte eingeführt.
Die Planung ist vom grundsätzlichen Prozess gleich strukturiert. In der aktuellen Woche werden die Pläne für die folgenden Wochen im Planungsmodul von OOPUS erstellt. Die aktuell laufende Woche kann nur noch im Leitstand bearbeitet werden.
Daher ist es möglich, die Planung und den Leitstand durch eine harte Zeitgrenze voneinander zu entkoppeln. Die harte Grenze ergibt sich linien- abhängig aus dem entsprechenden Zeitmodell der Linie und der Angabe eines Linienparameters bestehend aus Wochentag und Schichtklasse. Der Planer kann zusätzlich seinen Planbereich für weitere zukünftige und zusammenhängende Wochen an den Leitstand übergeben. Die harte Grenze verschiebt sich in diesem Fall für die entsprechenden Linien des Planungsbereichs um die zusätzlich freigegebenen Wochen.
Im Leitstandsbereich werden ausschließlich manuelle Änderungen durch den Leitstands-Planer erlaubt. Zeitlich nachfolgend befindet sich der Fixierungshorizont (getrennt durch die harte Grenze), der dazu dient, die unmittelbar nächsten Schichten zu fixieren und damit für Änderungen im Falle einer Neuplanung zu sperren. Dies ist notwendig, um für die laufende Produktion, für Materialbestellungen und für die Produktionsvorbereitung die erforderliche Planungssicherheit zu schaffen. Im Anschluss folgt die Phase der Feinplanung. In dieser erfolgt eine minutengenaue kapazitätsabhängige Rückwärtsplanung mit Losverschiebung bis zur Planungsgrenze. Die letzte und gröbste Stufe ist die Grobplanung. Bei dieser erfolgt eine wochenweise kapazitätsabhängige Vorwärtsplanung mit Losverschiebung bis maximal zur Wochengrenze.
Je nach Situation hat der Disponent verschiedene Möglichkeiten den Produktionsplan anzupassen. Grundsätzlich bestehen drei verschiedene Möglichkeiten:
- Automatische Planung: Im Rahmen der automatischen Planung wird ein komplett neuer Plan über alle Stufen der abgebildeten Prozesskette inkl. Losgrößenrechnung, Ressourcenzuordnung und Terminierung unter Berücksichtigung aller für den betrachteten Zeitraum gültigen Restriktionen berechnet.
- Semiautomatische Planung: Die semiautomatische Planung folgt üblicherweise der manuellen Planung einer Stufe. Die Funktion dieses Planungsmodus betrifft die Vervollständigung eines manuell erarbeiteten Planes. Dabei stehen die folgenden Funktionen zur Verfügung: Komplettierung eines bestehenden Planes für die aktuell betrachtete Stufe durch automatische Generierung weiterer Lose sowie diverse Funktionen, um offene Bedarfe direkt in der Plantafel einzuplanen.
- Manuelle Planung: Zusätzlich existieren vielseitige Möglichkeiten den bestehenden Plan manuell zu verändern. Dadurch kann der Planer schnell auf unvorhergesehene Situationen reagieren oder verschiedene Planszenarien durchspielen.
Oberflächen
Neben einem Modul zur Pflege aller notwendigen Stammdaten wurde eine aus einer Plantafel und Fortschrittszahlentabelle [4] bestehende Planungsoberfläche entwickelt [5]. Diese beiden Komponenten sollen idealerweise in einem Zweimonitorbetrieb angezeigt werden, um eine möglichst große Informationstransparenz zu gewährleisten.
Die Plantafel bildet die Lose auf ihren Linien im Zeitverlauf mittels eines Gantt-Charts ab und bietet diverse Möglichkeiten den Plan anzupassen. Der in der Plantafel abgebildete Plan wird in der Fortschrittszahlentabelle bzgl. der prognostizierten Ist-Zahlen dargestellt und mit den Soll-Zahlen, die auf Kundenabrufen und internen Bedarfen aufbauen, verglichen. Liegen zu einem Zeitpunkt im Planungsverlauf Rückstände vor, so dass Bedarfe nicht rechtzeitig befriedigt werden können, ist dies in der Fortschrittszahlentabelle sofort ersichtlich und kann in der Plantafel durch Anpassung des Planes korrigiert werden. Jede Anpassung in der Plantafel führt zu einer sofortigen Aktualisierung der Zahlen der Fortschrittszahlentabelle. Bild 3 zeigt die beiden Planungsoberflächen.
Jede Linie, die dem aktuell geöffneten Planbereich zugeordnet ist, wird im Gantt-Chart der Plantafel mitsamt seinem Zeitmodell dargestellt. Dazu werden die Schichten des Zeitmodells im unteren Bereich einer Linie mittels blauer Balken und deren zugeordnete Pausen mittels gelber Balken im Zeitverlauf visualisiert.
Wird ein Los verschoben, so werden sämtliche Restriktionen und das Zeitmodell beachtet. So können bspw. Lose nur auf ihnen zugewiesenen Linien produziert werden. Die Zeitdauer eines Loses wird nach einem Verschiebevorgang minutengenau anhand des definierten Zeitmodells neu berechnet, wobei auch Pausen und Kapazitäten unterschiedlicher Schichten Beachtung finden.
Fazit
Eine Implementierung von OOPUS wird in Kürze die Rolle des alleinigen Planungswerkzeugs in einem Motorenwerk eines großen Automobilherstellers übernehmen und dabei alte, oftmals manuell ausgeführte, Insellösungen ablösen. Die Entwicklung von OOPUS wird aktuell unter der Bezeichnung OOPUS-WEB vorangetrieben. OOPUS-WEB ist modular aufgebaut und wird um neue Module und Algorithmen erweitert, um für ein möglichst großes Spektrum an unterschiedlichen Problemstellungen anwendbar zu sein. So sollen zukünftig u.a. Funktionen für die kollaborative Planung, parametrisierbare Planungsmethoden und Simulationsstudien integriert werden.