Ausgangssituation
In Zeiten kurzer Produktlebenszyklen gewinnt die Anlaufphase einer Produktion zunehmend an Bedeutung. Der Produktionsanlauf stellt bei Serienprodukten einen kritischen Erfolgsfaktor dar, der die produktbezogene Rentabilität signifikant beeinflusst. Ein zügiger Produktionsanlauf und der damit erzielbare frühe Markteintritt gestatten es dem Anbieter, das vorhandene Marktpotenzial besser auszuschöpfen. Voraussetzung dafür ist die Bereitschaft des Kunden, aufgrund der Alleinstellungsmerkmale des neuen Produkts eine Prämie zu zahlen [1]. Entscheidend sind in der Anlaufphase nicht die direkten Anlaufkosten, sondern entgangene Erträge bei verzögertem Produktionsanlauf. Man schätzt, dass in der Automobilbranche ein effizienter Anlauf die Modellrendite um bis zu 5 Prozentpunkte steigern kann [1]. Zurzeit gelingt es jedoch selten, diese Phase reibungsfrei zu durchlaufen. Gründe hierfür sind (ähnlich [2]):
- geringe Erfahrung mit dem Produktionsprozess, daher viel Ausschuss
- Knappheit an ausgebildetem Personal, d.h. Anfälligkeit bei Personalausfällen
- häufige Produkt- und Prozessänderungen (Nachbesserung von Entwicklungsfehlern)
- ungenaue Stückzahl- und Terminvorgaben (abhängig vom Markterfolg des Produkts)
- häufige Produktionsunterbrechungen (bedingt durch Implementierung von Änderungen oder durch Bedienungsfehler)
- Unterbrechung des Informationsflusses (Informationsbrüche) zwischen den einzelnen Instanzen bzw. Bereichen im Anlaufprozess.
Eversheim u. a. identifizierten Themenfelder, aus denen Verbesserungspotenziale für den Produktionshochlauf erwachsen [3]. Hierzu zählen:
- Wissensmanagement und Personalqualifikation
- Änderungsmanagement
- Kooperations- und Referenzmodelle für den Anlauf
- Planung, Controlling und Organisation von Anläufen
- Anlaufrobuste Produktionssysteme.
Lückenloses Informationsmanagement als Erfolgsfaktor
Ein wesentlicher Bedarf, der in den o. g. Handlungsfeldern identifiziert werden kann, ist die strukturierte Organisation und Durchführung der Informationsbeschaffung und Weitergabe während der Anlaufphase.
Da während des Anlaufs häufig Korrekturen am Produkt oder an den einzelnen Herstellprozessen vorgenommen werden müssen, sind nahezu alle Bereiche in der Leistungskette der Produktherstellung involviert. Insbesondere in der Produktion mit ihren einzelnen Maschinen und Anlagen, die den Kristallisationspunkt für mögliche Fehlplanungen am Produkt oder Prozess darstellt, sind prozess- und produktbeschreibende Daten schnell und lückenlos zu erfassen.
Prozess- und produktbeschreibende Daten bedeuten sowohl Ist- als auch Soll-Daten, d. h. werden die Ist-Daten geändert, sind diese neu zu erfassen und an die betroffenen Instanzen zu übermitteln. Müssen die vorgenommenen Änderungen zudem noch vorab durch Freigabeverfahren genehmigt werden, vervielfacht sich der zeitliche Aufwand sowie die Gefahr des Informationsverlusts über die Anzahl der beteiligten Freigabeinstanzen.
Aufgrund dessen sind sowohl das Personal, die Planung und Organisation als auch die Produktion selbst von einer einheitlichen und durchgängigen Erfassung, Aufbereitung und Weitergabe von Informationen während der Anlaufphase abhängig. Nur die zeitnahe und lückenlose Informationsbereitstellung für alle Beteiligten kann die Reaktionsgeschwindigkeit im Fehlerfall entsprechend erhöhen und das Erreichen der Kammlinie der Produktion beschleunigen.
Mobile Endgeräte stellen ein Hilfsmittel für die Gestaltung direkter – und damit schneller und präziser – Informationsübertragung dar, mit denen die vorher aufgeführten Optimierungen im modernen Produktionsbetrieb umgesetzt werden können.
Mobile Endgeräte als Informationsdrehscheibe in der Anlaufphase
Aus technischer Sicht werden unter mobilen Endgeräten Systeme für die Ein- und Ausgabe von Daten verstanden, die ständig mitgeführt und kabellos betrieben werden können. Unter den verschiedenen Konzepten gehören PDAs (Personal Digital Assistent), Pocket-PCs oder Tablet-PCs zu den verbreitetsten Systemen (Laptops als bedingt mobile Systeme ausgenommen). Diese Systeme bestehen aus einem miniaturisierten Computer und einem Display mit einem drucksensitiven Display von der Größe eines Taschenrechners (PDA, Pocket-PC) bis zur Tabletgröße.
Ursprünglich wurden PDAs ausschließlich für die persönliche Datenverwaltung, d.h. Termine, Kalender, Adressen etc., eingesetzt. Mit höheren Prozessorleistungen konnten abgespeckte PC-Betriebssysteme (Microsoft WinCE/PocketPC, Linux) für den Pocket-PC entwickelt werden, so dass ein PC mit beinahe allen Funktionen im Taschenformat zur Verfügung stand.
Der Tablet-PC wurde ursprünglich als mobiler Internetzugang entwickelt und unterscheidet sich durch das größere Display. Die Bedienung erfolgt in den meisten Fällen über die direkte Markierung der Icons auf der Benutzeroberfläche des mobilen Endgeräts und die Verwendung von „Quick-Access-Keys“ am Gehäuse. Texteingaben erfolgen nach einer kurzen Gewöhnungsphase schnell über virtuelle Tastaturen, d. h. der Abbildung von Tastaturen auf dem Display, Handschrifterkennung oder spezielle Graffitis. Mit eingeschränkter Leistungsfähigkeit stehen sogar Spracheingabesysteme zur Verfügung. Für die drahtlose Verbindung zu Netzwerken stehen alle gängigen Technologien, z.B. WLAN, Bluetooth, GSM, auch für den Einsatz mit Mobilen Endgeräten zur Verfügung.
Die rasante technische Entwicklung der letzten Jahre lässt jedoch kurzfristig Lösungen für bestehende Einschränkungen erwarten: In Zukunft spiegeln vielleicht miniaturisierte Head Mounted Displays (HMD), montierbar auf konventionellen Brillengestellen, die Benutzeroberfläche in das Blickfeld des Benutzers, ohne die Sicht auf die reale Umgebung vollständig zu verdecken. Die Eingabe erfolgt über eine Kombination aus Sprache und Blickbewegungsanalyse und die Energie liefert eine ergiebige Brennstoffzelle.
Ein wesentlich höheres Defizit scheint jedoch in der informationstechnischen Infrastruktur moderner Produktionsbetriebe zu bestehen. Der Einsatz von mobilen Endgeräten ist nur sinnvoll, wenn auf alle relevanten Daten – angefangen von den Daten über den aktuellen Personal- und Produktionsstatus bis zur Abfrage des Maschinenzustands – zu jeder Zeit zugegriffen werden kann. Die Entwicklung für neue, übergreifende Konzepte, die nicht nur die Technik, sondern auch die notwendige Veränderung der organisatorischen Strukturen berücksichtigen, hat gerade erst begonnen. Der Einsatz von mobilen Endgeräten bedeutet für den Betrieb daher nicht nur die Anschaffung von Einzelgeräten, sondern auch den Aufbau eines neuen organisatorischen und informationstechnischen Frameworks.
Optimierung des Anlaufs von der Planung bis hin zur Produktion
Informationsintensive Felder wie das Wissens-/Änderungsmanagement oder die Personalqualifizierung sind Werkzeuge, die zur Optimierung der Anlaufphase führen können. Speziell der Zugriff auf historische und umso mehr auf aktuelle Daten der laufenden Produktion ist hierbei von entscheidender Bedeutung, um nahezu verlustfrei die Anlaufphase und die notwendigen Änderungen zu durchlaufen. Im Umkehrschluss impliziert dieser Sachverhalt, dass die eigentliche Erfassung der benötigten Informationen am Entstehungsort und deren Weitergabe ohne Informationsbrüche einer der eigentlichen Stellhebel für das Erreichen einer steilen Anlaufkurve ist.
Beim Einsatz mobiler Endgeräte können Sollabweichungen der Prozess- und Maschinendaten unmittelbar an einen sachkundigen Mitarbeiter weitergeleitet werden. Die Mitarbeiter können subjektive Erfahrungen und Informationen zeitnah archivieren und so die Informationsqualität und -geschwindigkeit erhöhen. Erfolgt eine Zuordnung der Daten zu abstrakten Problemkategorien, so kann Erfahrungswissen gezielt abgerufen werden – Informationen werden für zukünftige Anläufe nutzbar, was Fehler verhindert und die Problemlösung beschleunigt. Die Abhängigkeit des Unternehmens von seinen Mitarbeitern nimmt ab.
Mobile Endgeräte ermöglichen durch die ortsunabhängige Informationsversorgung einen flexiblen und optimierten Personaleinsatz. Da geschultes Personal im Anlauf einen Engpassfaktor darstellt, bringt dies signifikante Vorteile. Durch den ständigen Informationszugriff bietet sich die Möglichkeit, zusätzliche Kompetenzen auf die ausführende/produzierende Ebene zu übertragen. So kann das Personal an der Produktionslinie über das Gerät Reparaturaufträge und Änderungsanträge einsteuern und so die Reaktionszeiten verkürzen – im Anlauf ein wichtiger Vorteil. Dem Wissens- und Änderungsmanagement kommt im Anlauf große Bedeutung zu [4]. Mobile Endgeräte bieten Möglichkeiten, diese Managementprozesse zu optimieren. Einen Ansatz hierfür zeigt Bild 1.

Ausblick
Die Produktion und deren organisatorischen Aspekte sind in nahezu allen Bereichen weitestgehend optimiert, wodurch nur noch geringe Reserven zu Leistungssteigerung auszuschöpfen sind. Der Produktionsanlauf hingegen, mit dessen dynamischen Verhalten, verfügt noch über erhebliches Potenzial. Können die situationsabhängig auftretenden, stark schwankenden Anforderungen an die Produktionsfaktoren Produkt, Prozess und Ressourcen (Personal, Maschinen, Material) zeitnah – quasi antizipativ – erkannt und proaktiv erfüllt werden, sind erhebliche Einsparpotenziale realisierbar.
Schlüssel hierzu ist eine zeit- und ortsunabhängige sowie qualitativ hochwertige Informationsbereitstellung auf allen Unternehmensebenen. Diese bildet die Basis, um
- zielgenau Turbulenzen im Anlauf zu identifizieren,
- bedarfsgerecht Ressourcen umzuplanen und
- Produkt- und/oder Prozessänderungen nahezu verlustfrei während des Anlaufs einzusteuern.
Mobile Endgeräte und Netzwerke bilden hierfür einen innovativen Ansatz, mit dem sich über eine ganzheitliche Integration in die Unternehmensabläufe, eine hohe Transparenz hinsichtlich der komplexen Vorgänge während des Produktionsanlaufs erzielen lässt.