Die Migration von Produktionen aus Europa folgt dem Gefälle der Herstellkosten, funktionsfähige Kommunikationssysteme und sichere Logistikleistungen bieten dafür die Rahmenbedingungen. Auch wenn in Zukunft der Lohnkostenvorteil abnimmt, werden doch neue Billiglohnländer entdeckt werden. Die Antwort europäischer Unternehmen darauf kann nicht im immer billigeren Produzieren liegen, sondern nur in einem Ansatz zur Gesamtoptimierung zur Vermeidung von Verschwendung in den Prozessen durch intelligente Lösungen.
Die Schnelligkeit und Reaktionsfähigkeit der Systeme sowie verschwendungsarme Prozesse müssen sich zu Kernkompetenzen europäischer Produktionen entwickeln. Dies bedingt rasche Anpassungsfähigkeit der Unternehmensstrukturen, der Prozesse und der Mitarbeiter, sodass auch bei kurzfristig wechselnden Rahmenbedingungen bestmögliche Gesamtwirkungsgrade erreicht werden können.

Bild 1: Fertigungskostenanteile Druckgussinsel.
Zunehmende Automatisierung wird die Bedeutung der Personalkostenanteile für geringer qualifizierte Arbeit bzw. lohnkostenintensive Produkte in den Hintergrund drängen. Die planmäßige, effiziente und verschwen-dungsarme Nutzung dieser kapitalintensiven Produktionssysteme und die Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit aller Prozesse werden daher im Zentrum der unternehmerischen Interessen stehen müssen.
Hinweise auf bestehende Verschwendungen zu erkennen, die Ursachen zu erheben und nachhaltig zu beseitigen, kann auch als wesentliche Fähigkeit von Führungskräften und Voraussetzung zur intelligenten Produktion gedeutet werden.
Flexibilität – ein vielfältiger Begriff
Flexibilität, oder auch Adaptivität bzw. Anpassungsfähigkeit, bezeichnet unter anderem die Fähigkeit von Menschen und Organisationen, sich an Veränderungen anpassen zu können. Für Unternehmen bedeutet Flexibilität, dass eine gute Reaktionsfähigkeit auf veränderte Marktbedingungen, insbesondere hinsichtlich Produktausführung, Kapazitäten und Lieferzeiten, oberstes Ziel sein muss. Flache Hierarchien, der Abbau starrer Strukturen und detaillierter Regelwerke, die Verstärkung von Teamarbeit und Autonomie, flexible Arbeitszeiten, universell einsetzbare Mitarbeiter, optimierte Auftragsabwicklungsprozesse und eine Steigerung der Produktivität bieten dabei die Rahmenbedingungen für die effiziente, kostengünstige und mit ihrer Kapazität „atmende“ Fabrik.
Die Einbindung der Arbeitnehmer in das Unternehmensrisiko durch vom Unternehmenserfolg abhängige, variable Einkommensanteile und damit anpassbare Kosten für Arbeit sind weitere Ansätze zur Verbesserung der Flexibilität [1].
Aus Sicht der Mitarbeiter kann „Flexibilisierung“ im negativen Fall aber auch den Wegfall klassischer Arbeitsverhältnisse, des Kündigungsschutzes, geregelter Arbeitszeit, kollektivvertraglicher Vereinbarungen, Entfall von Kranken- und Urlaubsgeld, d.h. Bedrohungen durch einen Arbeitsmarkt ohne feste Regeln, bedeuten. Durch flexible Arbeitszeitmodelle wird der klassische Überstundenbegriff mit Zuschlägen für Arbeit außerhalb von „Normalarbeitszeit“ zurückgedrängt. Gleichzeitig nehmen durch Nutzung neuer Regeln für z.B. Gleit-Arbeitszeit vielfach die Möglichkeiten einer freieren Zeiteinteilung für den Arbeitnehmer zu. Unter dem Begriff „räumliche Flexibilisierung“ werden Modelle wie klassische Heim-, Tele- und Büroarbeit ohne feste Zuteilung eines Arbeitsplatzes verstanden. Interne Flexibilisierung bzw. Anpassung an schwankende Nachfrage erfolgt meist durch flexible Arbeitszeiten der Stammbelegschaft (meist durch Arbeitszeitkonten) und mehrfach einsetzbare Mitarbeiter mit breiterer Qualifikation und geringerer Spezialisierung [2]. Die Einrichtung (teil)autonomer Teams und von Fertigungsinseln sind weitere Schritte in diese Richtung. Der Begriff der externen Flexibilisierung bedeutet, dass auf schwankende Nachfrage durch Einstellungen und Entlassungen oder auch durch Outsourcing, befristete Arbeitsverhältnisse und Leiharbeitskräfte reagiert wird.

Bild 2: TEEP Kennwert Mechanische Großserienfertigung.
Falsch verstandene Flexibilität
Vielfach wird der Begriff Flexibilität missbraucht: Häufige Eingriffe und Korrekturen in bereits fix geplante Reihenfolgen durch z.B. „Chefaufträge“, „Eilbestellungen“, mangelnde Planungsqualität und instabile Prozesse bis zur Fertigungsfreigabe führen zu einem hohen Anteil an Verschwendung von Arbeits- und Maschinenzeit, Blindleistung, Beständen etc.
Vorsichtiges, aber nachhaltiges Reduzieren der Interventionen und das Einführen einer stabilen, unveränderlichen Phase der Produktionsplanung (frozen zone) führen zur Beruhigung des betrieblichen Geschehens und ermöglichen planvolle Werkzeug- und Materialbereitstellung, geordnete Rüstabläufe und eine deutlich höhere Produktivität bei praktisch unveränderter Flexibilität dem Kunden gegenüber. Eigene Betriebserfahrungen mit „frozen zones“ von nur 2 Tagen bei einer Gesamtlieferzeit von ca. 5 Wochen in einer Kunststofffensterfertigung haben gezeigt, dass damit, nur durch die Vermeidung unnötiger operativer Hektik, Durchsatzsteigerungen von bis zu 15 % möglich wurden.
Welche Folgen laufende, kurzfris-tige Änderungen des Produktionsplans auch haben können, zeigt eine Auswertung betrieblicher Daten aus einem Forschungsprojekt zum Thema Optimierung der Anlagennutzung [3]. Dabei wurde unter anderem ermittelt, welche gemäß Produktionsplan einbaufertig vorzubereitenden Werkzeuge (zusammengestellt, funktionell geprüft, abgedrückt, vorgewärmt, bereitgestellt bei Maschine) eines Druckgussbetriebs in der Kalenderwoche wirklich verwendet wurden. Wie sich zeigte, wurden von 121 in einem Monat vorbereiteten Werkzeugen nur 83 (ca. 69 %) wie geplant eingebaut. Die Nicht-Nutzung bzw. Verschwendung der Vorbereitungsarbeit durch 2 Mitarbeiter betrug daher mehr als 30 %. Die „zur Unzeit“ vorbereiteten Werkzeuge mussten zurückgestellt werden und die planvolle Vorbereitung wurde durch kurzfristig organisierte Improvisation ersetzt. Die Untersuchung zeigte auch auf, dass durch einfache organisatorische Maßnahmen wie Werkzeugvorbereitung Rüstzeiten um bis zu 30 % bzw. mehr als eine Stunde je Operation reduziert werden konnten. Berücksichtigt man die Folgen von laufend veränderten Reihenfolgeplanungen nicht nur in Bezug auf die Rüstzeiten, Rüstkosten oder mangelhafte Materialbereitstellung, sondern auch auf entgangene Kapazitäten und/oder entgangene Deckungsbeiträge, gewinnen falsch verstandene Flexibilität und instabile Planungsprozesse deutlich an Gewicht:
Agilität = Flexibilität + Schnelligkeit
Agilität oder Beweglichkeit bzw. Wendigkeit im wirtschaftlichen Sinn ist die Fähigkeit, in Bezug auf Veränderungen im Umfeld nicht nur anpassungsfähig zu sein, sondern die erforderlichen Veränderungen auch schnell umsetzen zu können.

Bild 3: MMH Verteilzeitanalyse Klebeplatz Montage.
Die Optimierung der Prozesskette der Kundenauftragsabwicklung (wie beim Produktentwicklungsprozess) mit dem Ziel, die „Time to Customer“ so kurz als möglich zu halten, kann als wesentlicher Wettbewerbsvorteil genutzt werden. Dafür sind die Einzelabschnitte der Prozesskette in Vertrieb, Beschaffung, Produktion und Logistik so zu gestalten, dass nicht nur kürzest mögliche Durchlaufzeiten resultieren, sondern auch ein Höchstmaß an Stabilität der Prozesse bei Veränderungen der Anforderungen gesichert wird. Damit ist ein hohes Ausmaß an Prozessverständnis und -kultur innerhalb des Unternehmens nötig [4], außerhalb des Unternehmens ist durch sorgfältige Auswahl und Vorbereitung die Einbindung der Zulieferer in die Anforderungen eines agilen Systems erforderlich.
Die Ansprüche an die Mitarbeiter, die diese Systeme planen und betreiben, steigen, eine positive Grundhaltung ist erforderlich. Dezentrale und prozess-orientierte Organisationsformen sind die Voraussetzung, Wandlungs- und Anpassungsfähigkeit müssen erhalten werden. Autonomie oder Teilautonomie und entsprechende Spielräume dafür in den Strukturen sind erforderlich, selbstlernende Verhaltensweisen erwünscht. Derartige Veränderungen können nur durch Veränderungen des Verhaltens der Führung erreicht werden [4].
Als Beispiel einer erfolgreichen Flexibilisierung mit gestiegener Agilität der Organisation kann die Umstrukturierung eines Bauelementherstellers nach dem Konzept der fixen Lieferzeiten [5] dienen. Bei einer Verkürzung der Auftragsdurchlaufzeit um mehr als 50 % konnten die Lieferzeiten auch bei steigender Auslastung konstant niedriger als bei der Konkurrenz gehalten werden. Nach einer radikalen Prozessorientierung der Organisation, Einführung der Teamorientierung mit (teil)autonomen Entscheidungsprozessen und einer Verbreiterung der Mitarbeiterqualifikation wurde besonderes Augenmerk auf rückstandsfreie Abarbeitung der Kundenaufträge bis zur Produktionsfreigabe, eine hinsichtlich Kapazität „atmende Produktion“ und angepasste Beschaffungsprozesse gelegt.
Verschwendungsarme Nutzung der Ressourcen
Zunehmende Mechanisierung, Automatisierung und Roboterisierung wird durch hohen Kapitaleinsatz erkauft und muss – wirtschaftlich gesehen – zu Produktivitätssteigerungen in der betroffenen Fertigungseinrichtung führen. Der Faktor Arbeit verliert nicht nur wertmäßig an Bedeutung, sondern auch hinsichtlich seines relativen Kostenanteils an den Fertigungskosten eines Produkts. Bei sinkendem Lohnkostenanteil wird daher dem möglichst hohen Nutzungsgrad einer kapitalintensiven Fertigungsanlage zunehmend größere Bedeutung zukommen als der Frage der absoluten Lohnkosten je Stunde. Die unternehmerischen Anstrengungen sollten in diesem Fall daher primär auf die Optimierung der Anlagennutzung gerichtet werden. Am Beispiel einer Druckgussinsel [6] wird in Bild 1 die Struktur der Fertigungskos-ten dargestellt. Wie ersichtlich, beträgt der Kostenanteil für den Kapitaleinsatz (AFA + Zinsen) ca. 56 %, der Anteil der Personalkosten beträgt vergleichsweise nur 19 %. Optimierungsaufwände im Bereich Anlagennutzung sind damit vermutlich wesentlich effizienter als ein gleicher Aufwand im Personalbereich.
Wie die Erfahrung aus mehreren eigenen Projekten zeigt, wird der Verschwendung von produktiver Anlagenlaufzeit häufig viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Kennzahlen der Anlagennutzung wie OEE (overall equipment effectiveness) und TEEP (total effective equipment productivity) werden selten regelmäßig erhoben und noch seltener wirklich richtig genutzt. Zur Ermittlung der genannten Kennzahlen ist die Erfassung der Ausfallsursachen der Anlagen erforderlich. Sinnvollerweise sollten die bekannten „Sechs Ausfallursachen für Anlagenstillstände“ erhoben und ausgewertet werden [7]. Dabei handelt es sich um die Ursachen Anlagenausfall (technisch und insbesondere organisatorisch), Rüst- und Einrichtverluste, Leerlauf und Kurzstillstand, verringerte Geschwindigkeit, Anlaufschwierigkeiten und Qualitätsverluste. Damit erfolgt eine grobe Kategorisierung nach den Hauptursachen und darauf aufbauend kann die systematische Verbesserung der Nutzungsgrade umgesetzt werden. In Bild 2 sind die Zeitarten und Verlustanteile des TEEP Kennwerts einer mechanischen Großserienfertigung mit hohem Automatisierungsgrad dargestellt. Daraus wird ersichtlich, dass die wesentlichen Ausfallursachen Qualitäts- und Taktzeitverluste mit ca. 13 %, Rüstzeiten mit ca. 8 % und organisatorisch bedingte Störungen (kein Material, kein Werkzeug etc.) mit ca. 6 % der Kalenderzeit sind, woraus sich beträchtliche Potenziale zur Verringerung von Verschwendung ableiten lassen [8].
Ressource Mitarbeiter
Neben der verschwendungsarmen Nutzung der Ressourcen „Maschine/Anlage“ müsste auch der verschwendungsarmen Nutzung der Ressource „Mitarbeiter“ verstärktes Augenmerk geschenkt werden. Vielfach wird zwar betont, dass die Mitarbeiter das „wichtigste Kapital im Unternehmen“ seien, gleichzeitig wird der laufenden „Wartung und Pflege“ dieser Ressource nicht immer ausreichend Aufmerksamkeit gewidmet und unnötige Verschwendung nicht wahrgenommen. Wie bereits erwähnt, steigen die Anforderungen und Ansprüche an die Mitarbeiter aufgrund zunehmender Flexibilisierungs- und Agilitätsanforderungen weiter an, Aus- und Weiterbildung werden verstärkt erforderlich, die sinnvolle und produktive Nutzung der verlängerten Lebensarbeitszeit wird eine der großen Herausforderungen der Zukunft sein. Gleichzeitig werden für manche Mitarbeiter die Bedürfnisse nach Sicherheit und Planbarkeit des Arbeitslebens schlechter erfüllt. Die Ressource „Mitarbeiter“ wird damit durch geringe Motivation, mangelnde Lernbereitschaft, fehlende Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung, Überforderung oder gar frühzeitige Pensionierung oftmals unnötig verschwendet. Jedem Ansatz zur Verbesserung der Situation müsste höchste Priorität gegeben werden.
Dass auch Verschwendungen der Ressource Mitarbeiter durch lange Wege, falsche Arbeitsplatzgestaltung, Suchen von Material, Informationen, Werkzeugen etc. in immer noch großem Ausmaß auftreten, zeigt, dass durch den Einsatz bewährter Methoden nach REFA, MTM etc. beträchtliche Potenziale gehoben werden könnten. Gleichzeitig scheint die Popularität und Verbreitung dieser Ansätze und Werkzeuge in vielen Unternehmen zurückzugehen. Beispielhaft zeigen die Ergebnisse einer vereinfachten Multimoment-Häufigkeitsanalyse [9] eines Montagearbeitsplatzes Zeitanteile bzw. Verschwendungen (Bild 3).
Da es sich um einen umsatzbestimmenden Engpass-Arbeitsplatz handelt, ist ein Anteil von nur 46 % für die Haupttätigkeit Montage/Kleben Kennzeichen für massive Verschwendung der Ressource Mitarbeiter bzw. organisatorische Schwächen. Abgesehen von sehr hohen persönlichen Verteilzeiten (8,1 %) und Besprechungen (6 %) sind insbesondere unproduktive Zeitanteile für Materialbeschaffung und -vorbereitung (12,7 bzw. 5,2 %) sowie Rüs-ten Arbeitsplatz und Werkstückwechsel (Summe ca. 13 %) deutliche Hinweise auf große Verbesserungspotenziale.
Fazit
Die vielfach vorhandenen Schwächen einzelner Unternehmen in Kernprozessen wie Produktentwicklung, Beschaffung, Planung und Steuerung, Auftragsabwicklung, Produktion, Inbetriebnahme, After Sales usw. bieten beträchtliche Optimierungspotenziale, sodass der Weg einer Produktionsverlagerung in Billiglohnländer nicht die erste Wahl sein sollte.
Standardisierung von Produkten und Prozessen, prozessorientierte Produktionssysteme und der Einsatz verschiedenster Simulationstechniken zur Erkennung von Mängeln und Optimierung der Abläufe vor Produktionsanlauf wie z.B. im Fall der virtuellen Fabrik sind weitere Ansatzpunkte, um durch Systemoptimierung den Herausforderungen begegnen zu können.
Die intelligente Nutzung der vorhandenen Möglichkeiten und die stetige Weiterentwicklung der Produkte und/oder Dienstleistungen sollten in vielen Branchen einen dauerhaften Vorsprung gegenüber Billigkonkurrenten ermöglichen.
Schlüsselwörter:
Flexibilität, Agilität, Anlagennutzung, Nutzungsgrad, Verschwendung
Literatur:
[1] Vobruba, G.: Grundlagen der Soziologie der Arbeitsflexibilität. In: Berliner Journal für Soziologie (2006), , Heft 1, S. 25 – 35
[2] Flecker, J.: Sachzwang Flexibilisierung? Unternehmensreorganisation und flexible Beschäftigungsformen. Wien 1999.
[3] Weger, C.: Verschwendung erkennen – Gesamtanlageneffizienz steigern. In: Druckguss Praxis (2006), Heft 7, S. 275 – 278
[4] Klocke, F.; Pritschow, G.: Autonome Produktion. Berlin 2003.
[5] Weichselbaum, E.; Rothböck, M.: Das Konzept fixe Lieferzeiten (LiFix). In: Klaus, P.; Staberhofer, F.; Rothböck, M.: Steuerung von Supply Chains. Wiesbaden 2007.
[6] Aschmann, B.: Cost Structure Die Casting, Präsentation Fa. Bühler, 2006. S.1-3
[7] Al-Rhadi, M.: Moderne Instandhaltung.TPM. Leipzig 2002.
[8] Weger, C.; Schöffer, M.: Transferprojekt TEEP Großserienfertigung, Bericht FH Steyr, 2008.
[9] Mühlberger, A.: Verteilzeitanalyse Fensterfertigung, Bericht Berufspraktikum FH Steyr, 2006.