Mixed Reality – Realität oder noch Zukunftsdenken?
Lesedauer: 8Minuten
03. Oktober 2021 von Hubert Biedermann und Theresa Passath und Bernhard Prietl
In Zeiten der zunehmenden Automatisierung und des Fachkräftemangels ist Mixed Reality ein hilfreiches Instrumentarium, um Prozessabläufe zu beschleunigen und Wissensverlust vorzubeugen. Aus diesem Grund wurde eine Umfrage am Lehrstuhl Wirtschafts- und Betriebswissenschaften in Leoben durchgeführt, um Anwendungsfälle in der Industrie sowie Herausforderungen und Risiken bei der Implementierung aufzuzeigen.
Durch den steigenden Digitalisierungsgrad und der fortschreitenden Anlagenvernetzung sind Betriebe aufgefordert, neue technische Entwicklungen aufzugreifen und diese auf ihre Anwendbarkeit zu prüfen. Eine dieser Technologien ist Mixed Reality [1].
Aus Bild 1 geht hervor, dass Mixed Reality eine Mischform von virtuellen Inhalten mit visuellen oder akustischen Aufnahmen der realen Welt ist. Die virtuellen Objekte werden so realistisch wie möglich dargestellt und dem Nutzer in Form von Videos, Texten oder anderen graphischen Objekten in einem transparenten Glas eingeblendet oder in einem Display gezeigt [4]. Zwei Begriffe, die Mixed Reality prägen, sind Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR). AR ist eine Erweiterung der realen Welt um virtuelle Inhalte. Geometrisch registrierte, realitätsnahe, dreidimensionale Objekte werden dem Anwender in Echtzeit im Sichtfeld dargestellt [5]. VR beschreibt die menschliche Interaktion in einer am Computer geschaffenen, künstlichen Welt, wobei der Mensch mit Ein- und Ausgabegeräten sowie über Computer und Netzwerke in dieser agieren kann [6]. In der virtuellen Umgebung werden Eigenschaften der realen Welt visualisiert [2]. Der Unterschied zwischen Augmented- und Virtual Reality ist, dass bei dem letztgenannten Terminus die physische Realität substituiert und nicht nur mit virtuellen Inhalten erweitert wird [7]. Mixed Reality (MR) verbindet die Vorteile der erweiterten und künstlichen Realität, und stellt diese in vermischter Form dar. MR ist durch namhafte Firmen wie Microsoft oder Magic Leap keine Zukunftsvision, sondern allgegenwärtig im täglichen Geschäft. Mit den, von den zuvor genannten Unternehmern angebotenen MR-Brillen werden dreidimensionale Objekte in transparenten Brillengläsern eingeblendet. Somit nimmt der Brillenträger eine reale Welt, die mit virtuellen Inhalten überlagert ist, wahr [8]. Mit Mixed Reality werden Prozesse bzw. Arbeitsabläufe speziell in der Instandhaltung deutlich vereinfacht, indem Mitarbeiter bei ihrer täglichen Arbeit durch virtuelle Experten unterstützt werden. Als Beispiel lässt sich die Problemlösung bei Reparaturen oder zur Fehleridentifikation nennen. Diese gestaltet sich durch die Einblendung von Informationen und Maschinendaten im Sichtfeld des Brillenträgers schneller und damit effizienter. Dazu werden Prozesshilfen durch erfahrene Mitarbeiter als virtuelle Objekte erstellt. Der Knowhow-Verlust wird dadurch unterbunden und Unternehmen sind nicht auf ein einheitliches Qualifikationsniveau der Mitarbeiter angewiesen. Eine Verkürzung des Maschinenstillstands und eine Minimierung der Ausfallkosten gehen damit einher [1].
Bild 1: Realitäts-Virtualitäts-Kontinuum [2, 3]
Um Mixed Reality effizient und effektiv verwenden zu können, werden technische Geräte in Form von Head Mounted Displays (HMD) oder mobilen Handhelds eingesetzt. Der Benutzer eines HMD trägt ein mobiles Visualisierungs- und Interaktionssystem in Form eines Helmes oder einer Datenbrille am Kopf [9]. Die Interaktion erfolgt über Handgesten oder Sprachbefehle. Die Verwendung von HMD weist einige Schwächen auf wie die erschwerte Sprachsteuerung in lauten Umgebungen. Deshalb gewinnen Alternativen, wie Mobile Devices, immer mehr an Bedeutung. Die Nutzung von MR mit diesen Handhelds ermöglicht eine präzise und benutzerfreundliche Interaktion sowie eine Vereinfachung des Trackings mittels der eingebauten Technik [10]. Die Robustheit gegenüber Spritzwasser, Staub oder Stürze sind für den Einsatz der HMD und der mobilen Handhelds in der Industrie ausschlaggebend. Heutzutage bieten immer mehr Hardwarehersteller HMD bzw. Mobile Devices wie Smartphones oder Tablets für den indus-triespezifischen Einsatz an [11]. Der Erfolg der Anwendung von Mixed Reality wird durch das Design und der Bedienphilosophie der Schnittstelle zwischen Mensch, Kamera(s) und Display bemessen. Dabei sind die zwei Termini User Experience (UX) und User Interface (UI) für die erfolgreiche Anwendung ausschlaggebend. UX steht für das Nutzererlebnis und beschreibt die Beschaffenheit, das Design oder die Umgebung eines Produktes. UI wird als Abkürzung für die Schnittstelle zwischen Mensch und Computer verwendet [12].
Bild 2: Erhöhung der Usability [13]
Anwendung von Mixed Reality in der Industrie
Mixed Reality ist allgegenwärtig und zeigt ihren Fortschritt in den Bestrebungen der Firmen Microsoft, Magic Leap und Oculus. Durch die Möglichkeit, dynamische Visualisierungen im Sichtfeld des Users einblenden zu können, ergibt sich ein breites Anwendungsspektrum. Ein Einsatzfeld, das hier speziell hervorgehoben wird, ist die Instandhaltung von Anlagen bzw. Maschinen. Dazu wurden auf Basis einer Umfrage, die Anforderungen von MR-Systemen im Detail betrachtet [13]. Die Umfrage wurde mit SurveyMonkey durchgeführt und umfasst 49 qualitative und quantitative Fragen, die durch eine logische Struktur in sieben Teilkapitel gegliedert worden ist. Neben Fragen zur Person und allgemeinen Fragen zu MR, AR und VR wurde speziell die Anwendung von Mixed Reality in der Instandhaltung abgefragt. Von 51 Umfrageteilnehmern gaben zehn an, mit MR-Systemen bereits einmal gearbeitet zu haben. Die erfolgreiche Anwendung von MR ist deutlich von den Mitarbeitern abhängig. Dabei spielt die Erkennung des Potenzials von Mixed Reality eine wesentliche Rolle. Laut den Befragten erkennen 48 Prozent der Belegschaft die Stärken von MR. Daher besteht ein hoher Kommunikationsbedarf der sich durch MR ergebenden Vorteile. Eine weitere Frage, die im Verlauf der Umfrage gestellt worden ist, wird in der nachfolgenden Abbildung mit den Ergebnissen dargestellt [13].
Aus Bild 2 geht hervor, dass neben industriellen Anforderungen, wie z. B. der mechanischen Widerstandsfähigkeit, auch weitere software- und hardwareseitige Aspekte für die Usability relevant sind. Ein weiterer zu betrachtender Aspekt ist die Anbindung des MR-Systems an die bestehende Systeminfrastruktur. Dabei verweisen die Umfrageteilnehmer darauf, dass die Verknüpfung zu den Enterprise Resource Planning- bzw. Enterprise Asset Management Systemen in mehr als 90 Prozent aller Fälle möglich ist. Die Integration von Mixed Reality in die vorherrschende Systemlandschaft ist für den effizienten Einsatz von MR ausschlaggebend [13].
In Bild 3 ist ersichtlich, dass die Befragten das Tablet gefolgt vom Smartphone für den Einsatz von Mixed Reality in der Instandhaltung präferieren. Als Grund für die deutliche Tendenz zu den Mobile Devices gegenüber der Datenbrille können die zahlreich am Markt angebotenen Industrielösungen gesehen werden. Diese speziellen Tablets und Smartphones weisen entsprechende industrietaugliche Eigenschaften, wie eine hohe Robustheit und Widerstandsfähigkeit gegenüber Spritzwasser und Staub auf. Zudem sind sämtliche Trackingtechnologien in diesen verbaut und können für räumliche Erfassungsvorgänge verwendet werden [11, 13].
Bild 3: Welche Technologie zur Anwendung von Mixed Reality [13]?
Ausblick
Die Thematik um Mixed Reality verspricht aufgrund der durch die fortschreitende Digitalisierung aufkommenden, neuen technologischen Entwicklungen ein hohes Potenzial in der Instandhaltung. Neue, auf dem Markt erhältliche Produkte, wie die Microsoft HoloLens 2, optimieren in Verbindung mit der zugehörigen Software speziell Prozesse in der Fertigung bzw. in der Instandhaltung. Zum Abschluss wird auf Basis einer Umsatzprognose von MR-, AR- und VR-Hard- und Software im B2B-Bereich festgehalten, dass die Umsatzzahlen im Jahr 2020 weiterhin kontinuierlich steigen und ein Zuwachs von mehr als 20 Prozent verzeichnet werden wird [14].
[1] Meironke, Ingo: Mixed Reality reduziert Ausfallzeiten in der Produktion. URL https://www.industry-of-things.de/mixed-reality-reduziert-ausfallzeiten-…. – abgerufen am 2020-03-06 [2] Milgram, Paul; Takemura, Haruo; Utsumi, Akira; Kishino, Fumio: Augmented reality: A class of displays on the reality-virtuality continuum (1994) [3] Saunter, Tom: Introduction. URL http://digitalcortex.net/academic/introduction/. – abgerufen am 2020-03-06 [4] Dubois, Emmanuel; Gray, Philip; Nigay, Laurence: The engineering of mixed reality systems, Human-computer interaction series. 1. Auflage. London, New York: Springer-Verlag, 2010 — ISBN 978-1-84882-732-5 [5] Azuma, Ronald T.: Presence: Teleoperators and Virtual Environments Bd. 6 (1997), Nr. 4 [6] Bungartz, Hans-Joachim; Griebel, Michael; Zenger, Christoph: Einführung in die Computergraphik: Grundlagen, geometrische Modellierung, Algorithmen, Mathematische Grundlagen der Informatik. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Braunschweig: Vieweg+Teubner Verlag, 2002 — ISBN 978-3-528-16769-1 [7] Licht, Lucas: Augmented and Mixed Reality Die Welt als Hyperlink. 1. Auflage. München: GRIN Verlag GmbH, 2012 — ISBN 978-3-656-18009-8 [8] Rogers, Sol: What Is Mixed Reality And What Does It Mean for Enterprise? URL https://www.forbes.com/sites/solrogers/2018/12/04/what-is-mixed-reality-…. – abgerufen am 2020-03-04 [9] Grimm, Paul; Herold, Rigo; Reiners, Dirk; Cruz-Neira, Carolina: VR-Ausgabegeräte. In: Dörner, R.; Broll, W.; Grimm, P.; Jung, B. (Hrsg.): Virtual und Augmented Reality (VR/AR): Grundlagen und Methoden der Virtuellen und Augmentierten Realität. 1. Auflage. Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag, 2013 — ISBN 978-3-642-28902-6, S. 127–156 [10] Lee, Chi-Jung; Chu, Hung-Kuo: Dual-MR: interaction with mixed reality using smartphones (2018) [11] Bauernhansl, Thomas; Hompel, Michael ten; Vogel-Heuser, Birgit: Industrie 4.0 in Produktion, Automatisierung und Logistik: Anwendung, Technologien, Migration. Wiesbaden: Springer-Verlag, 2014. — Google-Books-ID: QRYpBAAAQBAJ — ISBN 978-3-658-04681-1 [12] Tschanz, Nathaly; Schart, Dirk: Augmented und Mixed Reality. 2. Auflage. Konstanz: UVK Verlag, 2017 — ISBN 978-3-7398-0384-5 [13] Prietl, Bernhard: Anwendung von Mixed Reality am Beispiel der kartonproduzierenden Industrie (2020) [14] Statista Research Department: Prognose zum B2B-Umsatz mit Virtual-, Augmented- und Mixed-Reality in Deutschland bis 2020. URL https://de.statista.com/statistik/daten/studie/578467/umfrage/prognose-z…. – abgerufen am 2020-03-17
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