Im Zuge der 2017 veröffentlichten Studie „Manufacturing-Data-Analytics“ der Universität St. Gallen in Kooperation mit der RWTH Aachen wurden vielfältige Aspekte der industriellen Datennutzung untersucht. Hierbei wurden verschiedene Themenfelder wie beispielsweise technische Systeme, Implementierungsstatus und organisatorische Umsetzung analysiert. Während sich viele produzierende Unternehmen noch in einem rudimentären Einführungsstadium befinden, sind andere Unternehmen bereits heute in der Lage, durch umfassende Datenerhebung und -auswertung Vorhersagen treffen zu können und so ihre Effizienz in der Produktion erheblich zu steigern. Dabei sind besonders die Datenqualität und eine systematische Evaluierung von Anwendungsfällen von entscheidender Bedeutung. Ebenso konnte gezeigt werden, dass strategische Partnerschaften sinnvoll sind, um die Implementierung zu beschleunigen und einfacher zu gestalten.
Die Digitalisierung ist für viele Unternehmen ein entscheidender Baustein auf dem Weg in eine erfolgreiche Zukunft. Dabei fokussieren sich viele Unternehmen auf Geschäftsmodellinnovationen, smarte Produkte und digitale Services, um dem Kunden einen direkten Mehrwert zu bieten. Aber auch die interne Digitalisierung der Produktion (Stichwort „Smart Factory“) spielt eine wichtige Rolle, obwohl die überwiegende Anzahl der produzierenden Unternehmen sich noch in einem Einführungsstatus befindet [1]. Gerade deshalb bestehen in diesem Bereich erhebliche Potenziale zur Produktivitätssteigerung. Insbesondere kann dies durch eine verbesserte Datenauswertung und -nutzung in Echtzeit erreicht werden. Dabei beschreibt Data Analytics den Transferprozess von Daten in Informationen und schließlich in neue Erkenntnisse und Wissen, um fundierte, faktenbasierte Geschäftsentscheidungen treffen zu können. Paradox erscheint die geringe Datennutzung insofern, als dass die produzierende Industrie mit Shop-Floor Daten arbeiten kann ohne Zugang zu Kunden- oder Nutzerdaten zu benötigen. Dies erleichtert zumindest theoretisch den Datenakquisitionsvorgang. Da Daten meist in quantitativer Form zur Verfügung stehen, ist die Datenqualität und Auswertbarkeit gegenüber anderen Branchen in der Regel besser einzustufen.
Einen besonderen Fokus haben das Institut für Technologiemanagement der Universität St. Gallen und das WZL der RWTH Aachen auf einen vierstufigen Data-Analytics-Prozess gelegt, der sich an den Lebenszyklusphasen von Big Data orientiert: Datenerfassung, Datenspeicherung, Datenanalyse und Datennutzung [2]. Mit bislang 100 teilnehmenden Unternehmen aus elf Ländern konnten wertvolle Einblicke in den aktuellen Implementierungsstand bezogen auf das Thema Shop-Floor-Datenanalyse in der produzierenden Industrie gesammelt werden [3]. Dabei stammen die teilnehmenden Unternehmen aus einer Vielzahl von Branchen – vorwiegend repräsentiert durch die Automobil-, Elektronik- und Elektrotechnikindustrie sowie den Maschinen- und Anlagenbau. In anderen Branchen sind fortgeschrittene Data-Analytics-Verfahren bereits Stand der Technik, zum Beispiel im Handel in Form von personalisierter Werbung und Online-Marketing. Doch trotz bestmöglicher Analysemethoden und einer sukzessiv steigenden Datenverfügbarkeit aufgrund von verbesserter Systemintegration kämpfen produzierende Unternehmen noch immer damit, das volle Potenzial ihrer Daten zu entfalten. Dies zeigen auch die Ergebnisse einer weiteren repräsentativen Studie. Obwohl die produzierende Industrie mit Abstand die meisten Daten speichert, sind nur knapp 10 % der produzierenden Unternehmen im Bereich Data Analytics aktiv. In Bereichen wie Finance und Marketing sind es durchschnittlich mehr als 30 % der befragten Unternehmen [4].
Der Data Analytics-Reifegrad
Die Studie des Instituts für Technologiemanagement und des WZL der RWTH Aachen untersucht den aktuellen Stand in Bezug auf Manufacturing Data Analytics und konzentriert sich dabei primär auf Daten, die auf dem Shop Floor erhoben werden können. Diese umfassen sämtliche Daten, die in Produktionsprozessen entstehen – von der Fertigung über Transport und Lagerung bis hin zu Instandhaltungsdaten oder Daten zum Tracking und Tracing von Aufträgen. Diese Daten können sowohl unmittelbar an der Maschine durch eingebettete Sensorik wie auch manuell von Mitarbeitern im Prozess erfasst werden.

Bild 1: Reifegrade im Kontext der Datenanalyse.
Bei der Analyse und Nutzung dieser Daten werden Anwendungsszenarien in der Literatur in vier verschiedenen Reifegraden kategorisiert (Bild 1): deskriptive, diagnostische, prädiktive und präskriptive Data Analytics [5, 6]. Beschreibende Analysen nutzen Daten, um die Frage: „Was ist passiert?“ zu beantworten. Wohingegen die diagnostische Analytik darauf abzielt, Ursachen und Wirkungen zu identifizieren, um Antworten auf die Frage: „Warum ist es passiert?“ zu finden. Die prädiktive und präskriptive Analytik gehen einen Schritt weiter und versuchen eine Prognose über zukünftige Szenarien zu geben. Prädiktive Analytik sucht eine Antwort auf die Frage: „Was wird wahrscheinlich passieren?“ Präskriptive Analytik zielt darauf ab, Entscheidungsunterstützung für potenziell eintretende Szenarien zu bieten („Was sollte getan werden?“). Diese Reifegrade haben sich in Bezug auf Data Analytics in der wissenschaftlichen Literatur etabliert, weshalb diese auch die Grundlage zur Kategorisierung der teilnehmenden Unternehmen in der durchgeführten Studie bilden. Bei der Identifikation von Successful Practices wurden Unternehmen ausgewählt, welche bereits prädiktive und präskriptive Analytik in verschiedenen Anwendungsformen implementiert haben. Insgesamt konnten in 19 Unternehmen Vorgehensweisen als Successful Practices identifiziert werden (15 prädiktive Analytik, 4 präskriptive Analytik). 41 Unternehmen gaben hingegen an, lediglich deskriptive Analytik anzuwenden sowie 40 % diagnostische Analytik. Diese ersten Ergebnisse der Studie belegen, dass der Reifegrad in produzierenden Unternehmen weiterhin gering ist und viele Unternehmen sich dem Thema erst langsam annähern.