Die Wirkung von Industrie 4.0 auf Prozesse - Factory Innovation

Die Wirkung von Industrie 4.0 auf Prozesse

Lesedauer: 6 Minuten

03. Oktober 2021 von Patrick Kubalczyk

Konzentrieren sich aktuelle Untersuchungen zu den Auswirkungen von Industrie 4.0 hinsichtlich Geschäftsprozesse auf die Beschreibung einer Zukunftsvision unter Einsatz cyber-physischer Systeme und der Betrachtung isolierter Industrie 4.0-Technologien, so ist die Fokussierung von Veränderungsmechanismen auf der prozessualen Metaebene Gegenstand dieses Artikels. Im Folgenden sind Untersuchungen dreier Umsetzungsbeispiele cyber-physischer Systeme dargestellt.

Diente die Massenfertigung und Automatisierung vornehmlich der Erreichung positiver Skaleneffekte durch hohe Standardisierungsgrade in den Geschäftsprozessen, so kann Industrie 4.0 mit einer hochflexiblen und -effizienten Fertigung kundenindividueller Leistungen als eine Antwort auf sinkende Gewinnspannen und zunehmenden Wettbewerbsdruck aus Niedriglohnländern verstanden werden [1]. Als zentrales Element des Industrie 4.0-Ansatzes führen cyber-physische Systeme zu einer Wandlung industrieller Geschäftsprozesse [2]. Einhergehende Prinzipien der Dezentralisierung und Selbststeuerung bewirken eine Zunahme der Komplexität in der Prozesssteuerung [1]. Nach [3,4] sind cyber-physische Systeme Produkte und Systeme, die eingebettete Software verwenden und mittels moderner Internettechnologien miteinander verbunden sind. Im Kontext industrieller Geschäftsprozesse verweisen [2] auf eine „Vernetzung von Ressourcen, Informationen, Objekten und Menschen“ wie beispielsweise Maschinen, Werkstücke, Werkstückträger und Fertigungsmitarbeitern.

Die Wirkung von Industrie 4.0 auf Prozesse : Abstrakte Veränderungswirkungen durch den Einsatz cyber-physischer Systeme in der Intralogistik am Beispiel einer Zahnradfertigung

Bild 1: Abstrakte Veränderungswirkungen durch den Einsatz cyber-physischer Systeme in der Intralogistik am Beispiel einer Zahnradfertigung

CPS in der Intralogistik eines Zahnradfertigers 

Herausforderungen bei unterschiedlich zu fertigenden Serien liegen unter anderem in der taktgenauen Koordination von Intralogistikprozessen [5,6].

Der Prozess der Intralogistik eines Zahnradfertigers war vor Einführung cyber-physischer Systemkomponenten geprägt durch eine Versorgung bzw. Abholung der Materialen und Werkstücke vom Shop Floor in einer festtaktierten Zykluszeit von 60 Minuten. Dadurch bedingte hohe Kapazitätsbindungen sowie vielzählige Leerfahrten waren die Folge.

Anliefer- und Abholflächen wurden durch Mitarbeiter der Intralogistik visuell geprüft; benötigte bzw. abzuholende Werkstücke und Materialien papierbasiert dokumentiert.

Die Integration von AutoID-Technologien in Anliefer- und Abholflächen, eine Umstellung des papierbasierten Dokumentationsprozesses auf mobile Anwendungen sowie die Vernetzung von Informationssystemen mittels Web-Services ermöglichen den Intralogistikprozess bedarfsorientiert und losgelöst vom 60-minütigen Zyklus zu steuern [5-8].

Bild 1 zeigt die Umstellung der eingesetzten Technologien sowie die abstrakten Veränderungswirkungen des Intralogistikprozesses in einer Vorher-Nachher-Abbildung.

Durch Kommunikation des Bedarfs der Anliefer- und Abholflächen mit den Informationssystemen bis hin zum Mitarbeiter der Intralogistik werden rein informationsgewinnende Kontroll- und Prüftätigkeiten, welche vormals durch Mitarbeiter ausgeführt wurden, durch das CPS übernommen und in die wertschöpfenden Prozessschritte integriert. Die durchgängige Vernetzung der Technologien schließt Medienbrüche und vermeidet im Gegensatz zum papierbasierten Dokumentationsprozess Informationsverluste und Übertragungsfehler. Eine Reaktion auf kurzfristige Auftragsänderungen und Prozessstörungen ist aufgrund der bedarfsorientierten Steuerung der Intralogistik möglich.

Cyber-physische Prozessmodule in der Automobilmontage 

Sequenziell getaktete Fertigungsstraßen zeigen prozessbedingte Abhängigkeiten und Risiken insbesondere bei kurzfristigen Kundenwunschänderungen und sonstigen Prozessstörungen. Cyber-physisch zu fertigende Automobile suchen sich ihren Weg in der Fabrik durch die als Matrix angeordneten Prozessmodule, welche beispielsweise einzelne Maschinen oder komplette Montagestationen sein können.

Der in Bild 2 dargestellte Prozess der Automobilmontage als sequenzielle Fertigungsstraße sowie als Anordnung frei anfahrbarer Prozessmodule zeigt die Möglichkeit der Integration von kurzfristigen Kundenwunschänderungen. Erfolgt eine Änderung des Kundenwunsches hinsichtlich des Austausches einzelner Produktkomponenten wie beispielsweise Sitze während des Montageprozesses, so kann das mit den Prozessmodulen vernetzte Automobil das entsprechende Montagemodul anfahren ohne den Gesamtprozess nachhaltig zu beeinflussen und Engpässe auf andere Fertigungsaufträge zu übertragen.

Die Wirkung von Industrie 4.0 auf Prozesse : Abstrakte Veränderungswirkungen durch den Einsatz cyber-physischer Systeme in der Intralogistik am Beispiel einer Zahnradfertigung

Bild 1: Abstrakte Veränderungswirkungen durch den Einsatz cyber-physischer Systeme in der Intralogistik am Beispiel einer Zahnradfertigung

Kapazitätsengpässe und Maschinenstörungen werden somit umgangen und Wartezeiten, die die Gesamtdurchlaufzeit negativ beeinträchtigen, vermieden.

Multiressourcenplanung in der Brillenglasfertigung 

„Echtzeit-, Reaktions-, Wandlungs-, und Planungsfähigkeit“ sind im Kontext von Industrie 4.0 unabdingbare Eigenschaften von Produktionsplanungs- und Steuerungssysteme [9].

Bei einem Hersteller für Brillengläser wurde die Konzeption eines CPS-Planungsdienstes prototypisch umgesetzt. Die parallele Durchführung von Simulation und Planung vielzähliger Ressourcen wird somit möglich [9].

Die durch Einsatz des CPS-Planungsdienstes hervorgerufene Reaktion des Prozesses der Brillenglasherstellung auf Maschinenstörungen ist in Bild 3 dargestellt.

Sofern der Auftragsbearbeitungsprozess einer Maschine unterbrochen wird, werden nachfolgende Fertigungsaufträge auf andere Maschinen und Arbeitsstationen weitergeleitet. Wartezeiten sowie eine Stauung von Fertigungsaufträgen vor den Arbeitsstationen werden somit vermieden. Die verbesserte Reaktionsfähigkeit des Gesamtprozesses in Form paralleler Aufgabendurchführung ermöglicht eine flexible Ressourcennutzung bei Kapazitätsengpässen und Maschinenstörungen.

Mitarbeiter, Produkte und Märkte im Umfeld von CPS

Am Beispiel der Zahnradfertigung wird der Übergang informationsgewinnender und -verteilender Aufgaben vom Mitarbeiter auf das cyber-physische System erkennbar. Ein umfassender Datenpool bietet Mitarbeitern der Fertigung einerseits vernetzte Informationen zur Entscheidungsunterstützung. Andererseits, wie das Beispiel der Brillenglasfertigung deutlich werden lässt, agieren cyber-physische Systeme zunehmend als Träger von Entscheidungen, in der Folge Abhängigkeiten von Mitarbeitern reduziert werden.

Werkstücke als autonom-vernetzte Einheiten wie das Beispiel cyber-physischer Prozessmodule in der Automobilmontage, bieten das Potential Daten und Informationen entlang der gesamten Supply Chain zu integrieren, um somit Geschäftsprozesse ganzheitlich zu hinterfragen.

Klassische Fertigungsunternehmen, dessen USP in der Herstellung eines unverwechselbaren Produktes besteht, werden zukünftig ihre Geschäftsmodelle zu daten- und informationsgetriebenen Produkt- und Dienstleistungsangeboten transformieren müssen. Sie dürfen dabei nicht zum Handlanger der Geschäftsmodelle der IKT-Anbieter werden.

Die Wirkung von Industrie 4.0 auf Prozesse : Abstrakte Wirkungen durch den Einsatz eines CPS-Planungsdienstes

Bild 3: Abstrakte Wirkungen durch den Einsatz eines CPS-Planungsdienstes am Beispiel einer Brillenglasfertigung

Schlüsselwörter:

Cyber-physische Systeme, Industrie 4.0, abstrakte Veränderungen, industrielle Geschäftsprozesse

Literatur:

Literatur
[1] Obermaier, Robert: Industrie 4.0 als unternehmerische Gestaltungsaufgabe: Strategische und operative Handlungsfelder für Industriebetriebe. In: Robert Obermaier (Hg.): Industrie 4.0 als unternehmerische Gestaltungsaufgabe. Springer Gabler (Wiesbaden), 2016b, S. 11-12.
[2] Kagermann, Henning; Wahlster, Wolfgang; Helbig, Johannes: Umsetzungsempfehlungen für das ZukunftsprojektIndustrie 4.0. Abschlussbericht des Arbeitskreises Industrie 4.0. acatech, 2013, S. 17-18.
[3] acatech (Hg.): Cyber-physical systems. Driving force for innovation in mobility, health, energy and production. Springer (Berlin), 2011, S. 11.
[4] Geisberger, Eva; Broy, Manfred: agendaCPS. Springer Berlin Heidelberg (Berlin, Heidelberg), 2012, S. 22.
[5] Veigt, Marius; Lappe, Dennis; Franke, Marco; Thoben, Klaus-Dieter; Freitag, Michael: Entwicklung und Potenziale Cyber-Physischer Logistiksysteme am Beispiel eines Zahnradfertigers. In: Gunther Reinhart (Hg.): Intelligente Vernetzung in der Fabrik. Fraunhofer-Verl. (Stuttgart), 2015, S.213-225
[6] Schlick, Jochen; Stephan, Peter; Loskyll, Matthias; Lappe, Dennis: Industrie 4.0 in der praktischen Anwendung. In: Thomas Bauernhansl, Michael ten Hompel und Birgit Vogel-Heuser (Hg.): Industrie 4.0 in Produktion, Automatisierung und Logistik. Springer Fachmedien Wiesbaden (Wiesbaden), 2014. S. 64-48.
[7] Stephan, Peter; Schlick, Jochen: Reduzierung organisatorischer Verluste durch den Einsatz von Cyber-Physischen-Systemen in der Zahnradfertigung der WITTENSTEIN bastian GmbH. In: Gunther Reinhart (Hg.): Intelligente Vernetzung in der Fabrik. Fraunhofer-Verl. (Stuttgart), 2015. S. 375–378.
[8] Lappe, Dennis; Veigt, Marius; Franke, Marco; Kolberg, Dennis; Schlick, Jochen; Stephan, Peter et al.: Vernetzte Steuerung einer schlanken Intralogistik*. Simulationsbasierte Potentialanalyse einer bedarfsorientierten Materialversorgung in der Fertigung. In: wt Werkstattstechnik online, 3, 2014. S. 114.
[9] Berlak, Joachim: Dienst-basierte Multiressourcenplanung für Industrie 4.0. In: Gunther Reinhart (Hg.): Intelligente Vernetzung in der Fabrik. Fraunhofer-Verl. (Stuttgart), 2015. S. 179–191.

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