22. Mai 2022 von Annika Hauptvogel und Bastian Franzkoch, Jan Meißner und Niklas Hering
Die Beherrschbarkeit stetig individueller werdender Prozessketten bei gleichzeitig steigender Marktdynamik ist eine aktuelle Herausforderung produzierender Unternehmen. Der Steuerung von Produktionsprozessen kommt in diesem Zusammenhang eine immer größere Bedeutung zu. Jedoch mangelt es an geeigneten Lösungsansätzen, die den Anforderungen einer schnellen Produktionsplanung gewachsen sind.
Die zunehmende Marktdynamik erschwert es produzierenden Unternehmen, ihre sukzessiv individueller werdenden Prozessketten beherrschbar zu machen [1]. Des Weiteren fordern Kunden eine gesteigerte Kundenfokussierung, was dazu führt, dass immer kürzere Lieferzeiten trotz hoher Fertigungs- und Montageprozessvarianzen gewährleistet sein müssen. Besonders der Auftragsabwicklungsprozess sowie der Kapazitätsflexibilitätsbedarf werden durch die Verminderung der Lieferzeiten erheblich beeinflusst. Im Maschinen- und Anlagenbau haben sich diesbezüglich die Lieferzeiten in den letzten Jahren halbiert [2]. Aufgrund der Tatsache, dass der Kunde als Differenzierungsmerkmal und Entscheidungskriterium wahrgenommen wird, gewinnen die logistischen Leistungsmerkmale Liefertermintreue und Lieferzeit stetig an Bedeutung [3].
Die aktuelle Problematik verdeutlicht, dass Unternehmen ihr Produktionssystem umgestalten müssen. Es sollte zum einen robust und prozessstabil sein und gleichzeitig flexibel und wandlungsfähig auf marktseitige Dynamiken reagieren können. Zusätzlich muss das Produktionssystem Anpassungsnotwendigkeiten selbstständig antizipieren [4]. Die beiden Hauptziele Prozessstabilisierung und Flexibilisierung verlaufen jedoch gegensätzlich und ermöglichen somit auf Basis aktueller Softwarelösungen keine optimale Unterstützung in Bezug auf die Produktionssteuerung. Bild 1 veranschaulicht die Schwachstellen heutiger Produktionssysteme [5].
Die bisher konzipierten Steuerungskonzepte bauen nicht auf einem konsistenten Zielsystem auf und agieren somit auf unterschiedlichen Unternehmensebenen kontraproduktiv. Die fehlende Abstimmung zwischen den eingesetzten Systemen und die geringe Prozesskommunalität erzeugt dementsprechend starke Turbulenzen auf der Shop-Floor-Ebene (z. B. starke Streuung der Durchlaufzeiten). Eine ausschließlich lokale Optimierung führt nicht zu dem gewünschten Ziel einer hohen Termintreue, sondern zu einem signifikanten Einbruch der Gesamtleistung der Produktion. Die Folge ist eine Erhöhung der Systemdynamik sowie eine Verschlechterung der Vorhersagbarkeit der Produktionsleistung als auch der Aussagefähigkeit dem Kunden gegenüber bezüglich des Liefertermins.
Bild 1: Informationsstörung durch fehlerhafte Rückmeldung und unzureichende Datenintegration in den Produktionsprozess [6]
Chancen durch cyberphysische Systeme
Produzierende Unternehmen versuchen zurzeit das Problem der direkten Verbindung zwischen realer und softwareseitiger Produktion mit Hilfe cyberphysischer Systeme (CPS) zu realisieren. Diese eignen sich in diesem Zusammenhang besonders gut, da sie aufgrund ihrer modularen Struktur die Produktion optimal unterstützen können.
Cyberphysische Systeme bilden einen Zusammenschluss aus eingebetteten Systemen, echten physikalischen Systemen sowie Sensorsystemen [7]. Sie verfügen mittels verschiedener Sensoren und Aktoren über eine Schnittstelle zur Außenwelt, anhand derer Daten erfasst und auf physikalische Vorgänge eingewirkt werden kann. Des Weiteren sind solche Systeme mit einer multimodalen Mensch-Maschine-Schnittstelle ausgerüstet, die eine benutzerfreundliche und visuelle Interaktion mit dem Anwender ermöglicht [8].
Der alleinige Einsatz von CPS führt jedoch nicht zu dem gewünschten Ziel. Erst durch das Zusammenspiel mit einem flexiblen und übergreifenden Organisations- und Managementkonzept ist eine optimale Integration erfolgreich [8]. Das kybernetische Produktionsmanagement bildet hierzu in Kombination mit dem High Resolution Production Management eine ideale Basis (Bild 2).
Bild 2: Cyberphysische Produktionssysteme
Die Management-Kybernetik betrachtet als Wissenschaft nicht nur die Struktur von Systemen sondern auch die Lenkung, Anpassung und Kommunikation ihrer Elemente [9]. Ihre Wirkungsweise kann auf jegliche Art von Systemen übertragen werden und eignet sich aufgrund ihrer besonderen Fähigkeit zur Komplexitätsbewältigung besonders im Bereich hochkomplexer Systeme. Als Vorbild dient dazu das zentrale menschliche Nervensystem, welches sowohl die Regelung einzelner operativer Prozesse als auch die Wandlungsfähigkeit des Gesamtsystems ermöglicht [10].
Die Kernidee des High Resolution Production Managements ist die Absorption der Dynamik im Produktionsablauf durch die Nutzung moderner Technologien zur genaueren Informationsgewinnung und -rückkopplung sowie zur Stabilisierung des Produktionsprozesses [6]. Um diese Anforderungen zu gewährleisten, müssen die bisher rückkopplungsarmen bzw. entkoppelten Steuerungsebenen ähnlich dem Kaskadierungsprinzip vernetzt werden [11].
Steigerung der Produktionseffizienz
Die Zielsetzung des Forschungsvorhabens ProSense liegt in der Entwicklung einer hochauflösenden, adaptiven Produktionssteuerung auf Basis kybernetischer Unterstützungssysteme und intelligenter Sensorik. Der Fokus liegt dabei auf einer benutzerfreundlichen Gestaltung von Steuerungssystemen, so dass der Mensch als Entscheider mit Hilfe hochauflösender Daten optimal bei der Steuerung der Produktion unterstützt werden kann. Das cyberphysische Produktionssystem, welches den Rahmen für eine benutzerfreundliche Produktionssteuerung bildet, kann in vier Aufgaben unterteilt werden. Hierzu zählen die Massendatenerfassung, die Massendatenverarbeitung, das selbstoptimierende Feinsteuerungssystem und die Mensch-Maschine-Interaktion (Bild 3).
Bild 3: Die vier zentralen Aufgaben des cyberphysischen Produktionssystems
Die Erfassung hochauflösender Daten erfolgt über einfache und kostengünstige Sensoren. Um eine schnelle und einfache Austauschbarkeit dieser Sensorsysteme zu gewährleisten, ist es erforderlich modulare Funktionsbausteine einzusetzen. Diese kommunizieren autonom und agieren als intelligente Einheiten bzw. Subsysteme. In Bezug auf die jeweilige Betrachtungsebene kann die Datengranularität bedarfsgerecht angepasst werden. Hierzu ist es jedoch notwendig, dass einheitliche Schnittstellen zu allen übergeordneten IT-Systemen existieren, um eine interoperable Einsatzfähigkeit sicherzustellen.
Alle erfassten Daten werden als Basisdaten unverändert in einer zentralen Datenbank vorgehalten, um sie anschließend für einen selektiven Zugriff weiterzuverarbeiten. Hierdurch wird die Möglichkeit geschaffen hochauflösende Produktionsdaten zum einen einfach, zeit- und kostengünstig zu speichern und zum anderen bedarfsgerecht zu verarbeiten. Auf Basis einer normierten Datenschnittstelle gelangen die aufbereiteten Informationen anschließend in ein modular aufgebautes Feinsteuerungssystem.
Das Feinsteuerungssystem basiert auf einem Simulationsmodell. Damit dieses immer die reale Produktion abbildet, werden die zugrunde liegenden Informationen genutzt, um das Simulationsmodell an die Realität anzupassen. Dieses Modell wird dann für Simulationsläufe eingesetzt, die auf die reale Produktion übertragbar sind. Das Ergebnis dieser Läufe sind Prognosen über zukünftige sinnvolle Steuerungsalternativen der Produktion, die anschließend dem Anwender übermittelt werden. In einem zweiten Schritt obliegt dem Anwender die Aufgabe zwischen den Steuerungsalternativen zu entscheiden.
Neben der Validierung sinnvoller Steuerungsvorschläge ist insbesondere die Interaktion zwischen Mensch und Steuerungssystem von großer Bedeutung für die Entscheidungsunterstützung. Mit Hilfe einer geeigneten Visualisierung können relevante Entscheidungen hervorgehoben und gleichzeitig in einem entsprechenden Kontext betrachtet werden. Der Anwender erhält einen Überblick über die Konsequenzen seiner Entscheidung und kann darauf aufbauend die richtige Entscheidung treffen. Bei jedem neuen Vorschlag greift das System auf die Erfahrungen aus der Vergangenheit zurück. Es optimiert sich selbstständig und verbessert sukzessive mit der Laufzeit des Systems die Qualität der eigenen Steuerungsvorschläge.
Die Ergebnisse aus dem Forschungsvorhaben ProSense werden bei den Anwenderunternehmen des Projektkonsortiums sowie in der Demonstrationsfabrik im Campus-Cluster Logistik der RWTH Aachen praktisch umgesetzt und validiert. Die Demonstrationsfabrik bildet eine ideale Forschungsbasis, da in einer realen Produktionsumgebung (Fertigung verkaufsfähiger E-Scooterkomponenten) Experimente durchgeführt und analysiert werden können. Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Forschungsvorhabens ProSense „Hochauflösende Produktionssteuerung auf Basis kybernetischer Unterstützungssysteme und intelligenter Sensorik“, welches mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmenkonzept „Forschung für die Produktion von morgen“ sowie der Förderinitiative „Intelligente Vernetzung in der Produktion – Ein Beitrag zum Zukunftsprojekt Industrie 4.0“ (Förderkennzeichen 02PJ2490) gefördert und vom Projektträger Karlsruhe (PTKA) betreut wird.
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