Prozessverbesserung

Was bringt die Blockchain, Herr Wunderlich?

Lesedauer:  6 Minuten
©AdobeStock/Maksym Yemelyanov

Jürgen Wunderlich ist Professor für Wirtschaftsinformatik an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Landshut – und ein Experte für die Blockchain-Technologie. Ein Gespräch über Wassertemperaturen, Datenschutzbedenken und die aktuelle Debatte zum Lieferkettengesetz.

Herr Wunderlich, was ist die Blockchain-Technologie für Sie – Hype oder Gamechanger?

Der Hype entstand vor allem durch die bereits vor über zehn Jahren erfundene erste Kryptowährung Bitcoin. Sie basiert auf der Blockchain-Technologie und stieg bis Ende 2017 nahezu exponentiell auf fast 17 000 Euro. Dadurch wurden die Vorteile der Technologie bekannt: Die Blockchain ist dezentral und praktisch fälschungssicher. Daten werden statt zentral auf einem Server an vielen verschiedenen Stellen gespeichert und können nicht geändert werden, ohne dass andere das mitbekommen. Schon ein Jahr später, also Ende 2018, hatte die Blockchain jedoch den sogenannten Gartner-Hype-Cycle durchschritten und stürzte vom Gipfel der überzogenen Erwartungen in das Tal der Enttäuschungen ab. Trotzdem gelang es ihr, sich als gemeinsam genutzte, dezentrale Datenbank auf dem Markt zu etablieren.

Und wird sie nun so manche Spielregel ändern?

Die Blockchain-Technologie kann gerade in Kombination mit anderen Technologien wie beispielsweise Internet of Things, in bestimmten Bereichen tatsächlich zum Gamechanger werden. Auch aus diesem Grund hat die Bundesregierung im September 2019 ihre Blockchain-Strategie veröffentlicht, die Deutschland zum Marktführer beim Durchbruch dieser Technologie machen soll. Generell ist die Liste der Anwendungsfälle und Machbarkeitsnachweise immer länger geworden. Gerade bei unternehmensübergreifenden Abläufen dienen viele Prozessschritte nur dazu, Informationen von einem System auf das andere zu übertragen. In diesem Zusammenhang verspricht die Technologie durchaus enormes Potenzial. Denn solche Informationen müssen dann nur noch einmal, nämlich auf der Blockchain, hinterlegt und nicht mehr validiert oder integriert werden.

Wo kommt die Technologie bereits zur Anwendung?

Die bekanntesten und häufigsten Beispiele finden sich im Bereich der Finanztransaktionen. Vor allem die erwähnten Kryptowährungen verdeutlichen, wie die Technologie in der Finanzwelt eingesetzt werden kann. Doch auch im Bereich der Supply Chain existieren interessante Anwendungen vor allem für das Tracking und Tracing. So nutzt das US-amerikanische Nahrungsmittel-Unternehmen Naturipe die Blockchain-Technologie in großem Umfang, um seine Vision der Rückverfolgbarkeit „vom Ernteort bis auf den Tisch“ zu verwirklichen. Mit Blockchain-Technologie ist das Unternehmen besser in der Lage, lokale und globale Gemeinschaften zu unterstützen und sich für Umweltschutz und ethische Geschäftspraktiken einzusetzen. Generell eignet sich die Technologie also besonders für Netzwerke mit zahlreichen eigenständigen Teilnehmern, die eine effiziente und sichere Dokumentation von Transaktionen benötigen.

Die Möglichkeit der Blockchain in der Supply Chain ist ja auch eines Ihrer Forschungsthemen. Wo liegen hier die Chancen und Risiken?

Als Chancen für die Nutzung der Technologie im Einkauf sind die Kontrolle der Lieferantenqualifikation, eine höhere Transparenz bei der Dokumentation und die Effizienzsteigerung durch Automatisierung zu nennen. Demgegenüber stehen die schwerfällige Technologie, die unklare Haftungsfrage und die vergleichsweise wenig effiziente Datenbankarchitektur. Es gilt also, je nach Anwendungsfall konkret abzuwägen. Das Anwendungsfeld „Track & Trace“ im Bereich Supply Chain ist hierbei am vielversprechendsten. Innerhalb dieses Feldes stechen wiederum die Anwendungsfälle Umwelt-Tracking, Compliance-Tracking und Herkunftsnachweis heraus. Es zeigte sich, dass die Nachverfolgung der Lieferkette für die Blockchain-Technologie am sinnvollsten ist. Entsprechend viele (Pilot-)Anwendungen gibt es. So hat beispielsweise das Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik ein System entwickelt, das den Transport von Europaletten mit Sensoren und Trackern verfolgt und die Daten in der Blockchain revisionssicher speichert. Der Tracker befindet sich im Gestell und sendet zweimal pro Tag Daten, etwa zu Standort, Temperatur und Feuchtigkeit.

Wie kann das genutzt werden?

Das ist zum Beispiel für Spediteure interessant, die verderbliche Güter transportieren. Die eingesetzte Blockchain-Technologie ermöglicht es, mit Hilfe von Smart Contracts vertragliche Vereinbarung automatisch zu überwachen, also wenn beispielsweise ein Temperaturkorridor vorgegeben ist. Im Fischereibereich geht aktuell im September 2020 eine Blockchain-Plattform des norwegischen Fischereiverbands NSL an den Start. Sie soll zahlreiche Informationen wie Wassertemperaturen und Futter während der Aufzucht erfassen sowie Zeitpunkt der Geburt und des Fangs, Transportweg und Lagerungsbedingungen. Diese Transparenz ist für die norwegischen Fischer ein wichtiges Argument, um ihre vergleichsweise teuren Produkte zu verkaufen.

Also verspricht die Technologie auch finanzielle Vorteile?

Das monetäre Potenzial der Blockchain lässt sich nur schwer schätzen. Das Analysehaus Juniper Research prognostiziert, dass der Umsatz mit Blockchain-Anwendungen im Einzelhandel, die etwa Lieferketten effizienter und transparenter machen, bis 2023 auf ca. 4,5 Milliarden US-Dollar steigt. Das entspräche einem jährlichen Wachstum von ungefähr 139 Prozent.

Sie haben schon die Möglichkeiten der Blockchain angesprochen, Lieferketten nachzufolgen. Im Moment wird ja über ein Lieferkettengesetz debattiert. Unternehmen sollen ihre gesamte Lieferkette im Blick haben und so gegen Menschenrechts- und Umweltverletzungen vorgehen. Es klingt, als könnte die Blockchain-Technologie hier helfen?

Ja, denn gerade für die Überwachung von Lieferketten ist die Blockchain-Technologie prädestiniert. So arbeiten derzeit zahlreiche Akteure an Lösungen für die Nachverfolgung globaler Lieferketten. Beispielsweise testet das Berliner Unternehmen CircularTree eine Blockchain, die die Lieferkette eines Autoherstellers von den Minen bis zum Hersteller nachverfolgt. Das Gestein aus den Minen wird dabei mit einem Barcode versehen und in der Blockchain wird festgehalten, wann und wo genau wie viel Gestein verschifft wurde. So soll die gesamte Kette transparent werden. Ein anderer Autobauer gab kürzlich seine Kooperation mit dem britischen Blockchain-Start-up Circulor bekannt. Die Zusammenarbeit dreht sich um die Förderung von fair produziertem Kobalt. Die seltene Erde kommt unter anderen in Autobatterien zum Einsatz und wird oft unter menschenunwürdigen Bedingungen geschürft. Allgemein ist es wichtig, im Prozessschritt der Lieferantenauswahl eine mehrstufige Lieferantenqualifizierung einzuführen. In vielen Fällen erfolgt die strategische Lieferantauswahl einmalig für einen gewissen Zeitraum von drei bis fünf Jahren. Die einzuhaltenden Menschenrechts- und Umweltschutzstandards lassen sich aus der Ferne sehr schwer kontrollieren. Hier könnten beispielsweise externe Partner oder lokale Agenturen die Unternehmen vor Ort zusätzlich durch Zertifizierungen oder Audits unterstützen. Die Ergebnisse könnten dann in die Blockchain geschrieben werden.

Trotz all der Chancen werden ebenso Einwände und Kritik laut, wenn es um die Blockchain geht. Wo hakt es noch?

Aktuell ist die Technologie schlicht noch zu langsam für den Realtime-Einsatz, bei dem Entscheidungen über Transaktionen innerhalb von Millisekunden getroffen werden müssen. Für Business-Anwendungen im Internet steht das Vertrauen in Sicherheit und Verlässlichkeit im Zentrum aller Überlegungen. Bisher gibt es keine Blockchain, die von allen Teilnehmern akzeptiert und genutzt wird. Das kann sich aber ändern, wenn die Blockchain-Technologie über einen längeren Zeitraum sicher funktioniert und in einen rechtlichen und regulatorischen Rahmen eingebunden ist – auch international. Darüber hinaus vertragen sich grundlegende Aspekte des Datenschutzes – zum Beispiel das Recht auf Vergessen – nicht ohne entsprechende Lösungsansätze mit den Charakteristika der Blockchain. Zusätzlich stellt aus ökologischer Sicht vor allem der Energieverbrauch eines der großen Probleme der Blockchain dar, denn die Validierung und Verschlüsselung von Transaktionen verschlingt schon heute ungeheure Energiemengen. Allerdings ist keine dieser Hürden unüberwindlich.


Tags: Blockchain Blockchain-Technologie Datenschutz Internet of Things Lieferketten nachverfolgen Lieferkettengesetz

Das könnte Sie auch interessieren

Digital X Innovation – Japanische Best Practices in der Fertigungsberatung 

Industrie 4.0, KAIZEN und KVP aus japanischer Sicht
Claudia Schmidt und Chantal Ruppert sprechen mit Satoshi Tachibana, Motohiro Kashihara und Yuta Nakamura über vier Punkte, die bei der Implementierung von KAIZEN zu beachten sind, wie Führungskräfte die Eigeninitiative der Mitarbeiter im kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP) stärken können und worauf Unternehmen achten sollten, bevor sie ihre digitale Transformation beginnen. Das Interview mit der japanischen Beratungsfirma ABeam fand auf der Hannover Messe 2023 statt.

Effizienzpower in der Administration

Potenziale nutzen mit der Fraunhofer-IPA-Prozessanalyse
Während in der Produktion kontinuierlich hohe Rationalisierungs-raten erzielt werden können, bleibt das Potenzial in den administrativen Bereichen oft ungenutzt. Warum ist das so? Ein Grund könnte die einfachere Prozessleistungsmessung in der Produktion sein. Um dem Abhilfe zu schaffen, wurde am Fraunhofer IPA eine Methode entwickelt, mit deren Hilfe auch administrative Prozesse ganz einfach auf ihre Leistungsfähigkeit analysiert werden können.

Mit KATA zu besseren Prozessen

Der Weg ist das Ziel
Im Jahr 2015 sprach productivity (die Vorgängerzeitschrift der Factory Innovation) mit Marco Pett. Er war zu dem Zeitpunkt seit über einem Jahr als interner KATA-Trainer für die Ausbildung der Führungskräfte zu „Verbesserern“ und „KATA-Coaches“ bei der Gira Giersiepen GmbH & Co. KG verantwortlich.Herr Pett, Sie arbeiten bei Gira als KATA-Trainer. Bitte erklären Sie uns, was die KATA ist. Das Wort KATA stammt aus dem asiatischen Kampfsport und beschreibt einen ...

A Japanese point of view on manufacturing consulting and CIP 

Digital X Innovation - Japanese best practice in manufacturing consulting
Claudia Schmidt and Chantal Ruppert chat with Satoshi Tachibana, Motohiro Kashihara and Yuta Nakamura about four points to observe when implementing KAIZEN, how executives can boost employee initiative in the continuous improvement process (CIP) and what companies should consider before starting their digitalization transformation. The interview with Japanese Consultancy company ABeam was conducted at the Hannover Messe 2023.

How artificial intelligence is transforming CNC programming

Interview with Takayuki Hirayama, Managing Director of the Japanese company ARUM
Enter the world of ARUMCODE, the award-winning AI solution for CNC programming. The exclusive interview with CEO Takayuki Hirayama at the Hannover Messe reveals the transformative power of full automation and artificial intelligence in the manufacturing industry. ARUM Inc. offers a range of AI solutions for the automatic CNC programming of 3D CAD models. The AI product ARUMCODE generates NC programmes from 3D CAD models (for example components or buildings).

Wie die Künstliche Intelligenz die CNC-Programmierung verändert

Interview mit Takayuki Hirayama, CEO der japanischen Firma ARUM
Tauchen Sie ein in die Welt von ARUM und seine preisgekrönten KI-Lösungen für die automatische CNC-Programmierung von 3D CAD. ARUMCODE wurde 2022 auf der japanischen Elektronikmesse mit dem CEATEC-Award des japanischen Innenministeriums ausgezeichnet. Das Exklusiv-Interview mit CEO Takayuki Hirayama auf der Hannover Messe enthüllt die transformative Kraft der Vollautomatisierung in der Produktionswelt.